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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ihn aufpassen?«
    »Linnea hat es ja schon mehrere Male angeboten.«
    »Aber warum?«
    »Das habe ich doch schon gesagt!«
    »Reicht mein Lohn nicht?«
    »Für ein paar Kronen extra hätten wir doch wohl Verwendung?«
    »Du meinst also, dass ich nicht genug verdiene?«
    »Das habe ich nicht gesagt! Kannst du nicht zuhören, was ich sage?«
    »Ich sehe eigentlich fern.«
    »Wir könnten vielleicht eine Reise machen …«
    »Wohin denn?«
    »Das weiß ich nicht! Wohin auch immer! Wenn wir drüber sprechen, endet es doch immer damit, dass wir kein Geld haben.«
    »Du begreifst doch wohl, dass du das nicht machen kannst!«
    »Was denn?«
    »Den Jungen allein lassen!«
    »Aber das meine ich doch auch gar nicht!«
    »Wir scheißen darauf … Dass sie so ein verdammtes Programm zeigen müssen!«
    Und mehr wird nicht daraus. Das Gespräch erstirbt, und Eivor resigniert. Aber der Weg von der vagen Unruhe bis zu einem unwiderstehlichen Bedürfnis erreicht seinen Höhepunkt zum Jahreswechsel, und eines Tages im Januar 1962hat sie Linnea gebeten, ein paar Stunden am Vormittag auf Staffan aufzupassen. Als sie Linnea anrief, sagte sie, dass sie zum Zahnarzt gehen müsse. Sie hat einen Termin bei Algots’ Personalbüro, und nun schaut sie auf all die Menschen, die sich im schneidenden Wind ducken, und denkt, dass niemand ein so wichtiges Ziel haben kann wie sie.
    Da ist der Fabrikeingang wieder! Und das Schild, das schnörkelige A, das Wort, das Kataloge und Kleideretiketten ziert. Im Eingang begegnet sie ein paar dunkelhaarigen Mädchen, die sich in einer fremden Sprache unterhalten. Sie hört sie lachen und beschleunigt ihren Schritt. Sie darf ja nicht zu spät kommen, bloß noch ein bedauerndes Gesicht antreffen! Du hättest die Möglichkeit gehabt, aber jetzt sitzt eine andere auf dem Platz, der für dich reserviert war. Die Welt wartet nicht, und Gnade dem, der es nicht schafft, auf den Zug aufzuspringen. Sie eilt die Steintreppen hoch, hört das Summen der mit Dampf betriebenen Kleiderpressen, biegt in einen Korridor ein, und da ist das Büro! Derselbe Raum. Aber sie begegnet einem anderen Personalassistenten, und der hat noch nicht mal den Brief gelesen, den sie eines Nachts im Dezember geschrieben hat. Er sucht in den Ordnern, die sich auf den Regalen drängen, starrt einen Augenblick aufs Telefon, als ob das Eivors wertvollen Brief verschludert hätte. Aber schließlich zuckt er mit den Schultern, lehnt sich im Stuhl zurück und bittet Eivor, ihr Anliegen mündlich vorzutragen.
    Natürlich wird sie nervös. Niemand hat ihr beigebracht, frei zu reden. Einen Brief zu schreiben kann ihr Schwierigkeiten bereiten, aber da kann sie sich Zeit nehmen. Doch ihre Wünsche mit eigenen Worten vorzutragen … Sie stammelt und verhaspelt sich, versteht kaum selbst, was sie sagt. Einzelne Wörter, die hilflos versuchen, zueinanderzufinden und eine verständliche Aussage zu bilden.
    »Halbzeit oder Vollzeit also?«, fragt der Personalassistent, als er meint, sie sei fertig.
    »Ich hab ja ein Kind«, sagt sie lahm.
    »Das sagten Sie.«
    »Aber ich bin verheiratet!«
    »Na prima …«
    Sie hört, den ironischen Tonfall, aber im Moment kümmert sie nur, wie seine Antwort lauten wird.
    »Sie sagten, dass Ihre Zeugnisse und … Ja, dass sie bereits bei uns waren?«
    Eivor nickt. Das kann sie: nicken und freundlich aussehen.
    Der Personalangestellte, der einen Blazer und ein gestreiftes Nylonhemd mit Kragen trägt, schlägt den Ordner zu und schaut sie an. Sie denkt plötzlich, dass er sehr jung ist. »Wir werden von uns hören lassen«, sagt er.
    »Bekomme ich einen Platz?«
    Bekomme ich einen Platz? Sie hört ihre eigenen Worte: das Betteln klingt deutlich heraus. Wenn der, der da auf der anderen Seite des Schreibtischs sitzt, eine Ahnung hätte, wie mies sie sich fühlt, aber wie viel es gleichzeitig für sie bedeuten würde, wenn es eine Stelle für sie gäbe!
    »Wie gesagt! Wir lassen von uns hören.«
    Nichts weiter.
    Aber die Antwort kommt eine Woche später, und als sie den Umschlag aufschlitzt und sich mit zitternden Händen das Papier vor die Augen hält, liest sie, dass ihr eine Teilzeitarbeit (drei Tage die Woche, fünf Stunden am Tag) angeboten wird.
    Zum zweiten Mal legt sie Jacob etwas sehr Wichtiges auf den Tisch, wo er seine Kaffeetasse abzustellen pflegt.
    Er liest den Brief, den seine ihm rechtmäßig angetraute Ehefrau von dem angesehenen Unternehmen bekommen hat.
    Er liest, und dann fragt er, ob sie völlig verrückt

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