Daisy Sisters
nur? So ruhig, ohne viel Aufhebens, als ob er nach einem Zahnstocher fragte. Sie starrt ihn an, aber natürlich weiß sie, dass sie sich nicht verhört hat. Im Hintergrund hört sie Nancy Sinatra im Nachtradio. To know him is to love him. Von 1962. Das hat sie gehört, als sie Linda erwartete …
»Na«, sagt er wieder.
Aber jetzt ist sie da. Irgendwo in sich trägt sie immer eine Bereitschaft, und als sie antwortet, ist ihre Stimme hart, voller Enttäuschung und Wut. »Ich habe gesagt, dass du dir nichts erwarten sollst. Geh jetzt.«
»Was zum Teufel ist los mit dir?«
»Geh jetzt.«
»Du bist doch wohl genauso geil wie alle anderen?«
»Vielleicht. Aber nicht auf dich.«
»Jetzt komm schon, zum Teufel!«
Er erhebt sich vom Sofa, und sie springt von ihrem Stuhl auf.
Sie empfindet Angst, aber mehr noch das Gefühl der Demütigung. »Wenn du mich anrührst, schreie ich. Und ich habe Nachbarn, die es hören!«
Er bleibt stehen, zögert, scheint Gott sei Dank kein gewaltsamer Typ. Aber stell dir nur mal vor, er wäre betrunken, taub für alle Ablehnung.
Er steht da und sieht sie an, die ganze Zeit über lächelt er,und Eivor ist es unbegreiflich, dass derselbe Gesichtsausdruck zwei so unterschiedliche Menschen verbergen kann. »Ist irgendwas nicht in Ordnung mit mir?«, sagt er.
Da versteht sie. Es ist so einfach. Sie hat ihn hereingebeten, und damit hat er freie Fahrt. Dass sie gesagt hat, er solle sich nichts erwarten, gehört einfach zum Ritual, das bedeutet gar nichts. Freier Eintritt bedeutet freie Beute. Für ihn ist es selbstverständlich, dass sie miteinander schlafen werden. Sie sieht, dass er verwundert ist, betreten.
»Meinst du das wirklich?«, fragt er.
»Geh jetzt«, sagt sie und merkt, dass sie sehr müde ist. »Geh jetzt, bevor ich dich hinauswerfe!«
Er nimmt seinen Blazer und wirkt noch verwunderter, verschwindet ohne ein Wort. Nur ein letzter Blick. Ein bestürzter, unverstandener Mann. Ohne Bierbauch, mit einem freundlichen Lächeln, seines selbstverständlichen Rechts beraubt.
Nachtradio und Demütigung. I never promised you a rose garden … Sicher nicht, niemand hat ihr einen versprochen, und sie ihrerseits hat nie auf den Straßen und Marktplätzen gestanden und falsche Versprechungen gemacht … Sie sitzt zusammengekauert auf dem Sofa und ist so wütend, dass sie zittert. Verdammte Scheiße … Wo sind jetzt alle weiblichen Mitbürgerinnen, Schwestern, Mitschwestern , wie sie heutzutage genannt werden? Wo sind sie, die darauf beharren, sich in sackförmigen Kleidern zur Schau zu stellen (fantasievolle Schöpfungen, gewiss, aber die Nähte …), indische Kopftücher in die Stirn gezogen, als hätten die ehemals mit Füßen getretenen Bauernmütter in der besten aller Welten gelebt. Wo sind diese Frauen? Sie, die man, ob man will oder nicht, am Abend auf den Straßen und auf den flimmernden Bildschirmen sieht? Runde Brillen in blassen Gesichtern, diese Frauen, die Gleichheit zwischen den Geschlechternprophezeien, die Befreiung der Frau, in nicht immer erfreulichen Worten? Jetzt sollten sie hier sein und die eiskalte Blume der Demütigung sehen … Aber das sind Frauen, die in einer anderen Welt leben, nicht in einem gewöhnlichen Mietshaus draußen in Frölunda.
Eivor spürt eine große Verwunderung. Warum sie sich über die ausgelassene und frisch ausgebrütete Emanzipationsbewegung der Frauen so eifrig hermacht, weiß sie nicht. Vermutlich ist es Neid, und da liegt die verlorene Bereitschaft und macht sich lustig … Elna, die Mutter, die mit dem Stiefvater Erik nach Lomma gezogen ist. Sie, die nie ein Wort gesagt hat darüber, was es eigentlich bedeutet, eine Frau zu sein. Und jetzt sitzt Eivor hier, fast einunddreißig, und ist ein herrliches Exemplar für diese gigantische Hilflosigkeit.
Nein, das ist nicht wahr! Den Lastwagenfahrer hat sie vor die Tür gejagt, dass es nur so rauchte! Er muss sich wohl mit einer Pornozeitschrift trösten und sich im Auto einen runterholen. Hier wurde nichts daraus …
In dieser Nacht sieht Eivor wieder die Schrift an der Toilettenwand. Der Schatten ist unbarmherzig. Wenn es etwas damit werden soll, ein selbstständiges Leben zu führen und nicht wieder in eine neue Ehe gezogen zu werden, dann muss das jetzt geschehen. Es darf nicht daran scheitern, dass es unmöglich erscheint, dass sie weder das Zeug noch die Zeit dazu hat, es muss jetzt geschehen. Gleich Montag wird sie zur Arbeitsvermittlung gehen, wird all ihre aufgestaute Energie
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