Daisy Sisters

ihre Menstruation schon fast eine Woche überfällig ist. Mit leicht gebeugtem Oberkörper geht sie weiter und denkt, dass es ja nicht das erste Mal ist, eine Woche ist keine unnormale Spanne für sie. Dennoch sendet ihre Intuition in diesem Moment das erste Signal aus, zuerst als eine kaum wahrnehmbare Unruhe, dann – und da ist sie schon fast zu Hause – als ein schreckliches Gefühl, als wäre eine große Eisenhand dabei, sie zu umklammern.
    »Das kann und darf nicht sein«, sagt sie laut zu sich selbst,während sie nervös nach dem Türschlüssel in ihrer Handtasche sucht. Der Griff der Plastiktüte mit den Büchern rutscht ihr aus der Hand, und das Stifteetui fällt in den schmutzigen, aufgetrampelten Schnee. Habe ich dir das nicht gesagt? Dass ich keine Kinder zeugen kann? Die Hormone. Sie stopft das Stifteetui zurück in die Plastiktüte und schließt die Tür auf. Auch da stimmt etwas nicht. Flüchtig hingeworfen, ein niedergeschlagener und resignierter Mann nennt den den endgültigen Beweis seines Versagens. Aber das kann genauso gut eine getarnte Lüge gewesen sein. Sicherlich! Lasse Nyman lügt, sein Leben ist ein Kaleidoskop von Lügen, die ständig Charakter und Form verändern.
    Sie ist oben an ihrer Tür, starrt auf den Namen, »Halvarsson«, als ob sie ihren Augen nicht traute, und denkt, sicher wäre es möglich, dass er sie hereingelegt hat, aber eigentlich kann kein Mensch einen solchen Betrug verüben, wenn es nur um eine Nacht geht. Dass Liebe sich bisweilen mit grotesken Lügen und heimtückischen Angriffen aus dem Hinterhalt wappnet, darüber ist sie sich im Klaren, aber einen solchen Angriff macht man doch nicht, um eine einzige Nacht im Bett mit einer Frau zu verbringen! Sie schließt auf und versucht sich damit zu beruhigen, dass alles Einbildung ist. Die Reise nach Madeira, Lasse Nyman, der bei der Rückkehr nach Torslanda plötzlich zu Boden geschlagen wird, die Nervosität wegen all des Neuen, das ihr bevorsteht, sind mehr als genug Gründe für das Ausbleiben ihrer Menstruation …
    Aber sie ist tatsächlich schwanger, und als sie einige Wochen später mit dem Bescheid von der Apotheke kommt, bestätigt er nur etwas, dessen sie sich im Grunde schon sicher war. So sicher, dass sie längst an eine Abtreibung gedacht hat. Schlimmer muss es nicht werden.
    In dieser aufgeklärten Zeit wird sich einer Abtreibung gewissniemand mehr in den Weg stellen. Sie muss nur ihre Geschichte ein wenig zurechtbiegen, indem sie unwesentliche Details verändert. Lasse Nyman wird in einen namenlosen Portugiesen aus der Stadt Funchal verwandelt, ein Abend mit zu viel Rotwein und verschwommenen Details vom Rücksitz eines Autos, die sehr gut eine Vergewaltigung gewesen sein könnten . Nein, sie hat damit keine Probleme, ihre Gewissheit, dass sie dieses Kind nicht haben will, ist unumstößlich. Schon Anfang Februar wird sie ins Krankenhaus gehen, und das Einzige, was sie daran stört, ist, dass sie sich jetzt absolut nicht auf ihre Bücher konzentrieren kann.
    Genau eine Woche ehe die Abtreibung durchgeführt werden soll, liest sie zufällig während der Kaffeepause in der Morgenzeitung, dass Lasse Nyman aus dem Untersuchungsgefängnis in Katrineholm ausgebrochen ist. Es ist die Überschrift der Notiz, die ihr Interesse geweckt hat: Bankräuber auf freiem Fuß , und erst als sie versteht, dass es sich um Lasse Nyman handelt, erkennt sie ihn auf dem unscharfen Foto oberhalb der Titelzeile. Sie denkt, dass die Fotografie viele Jahre alt sein muss, weil sie ihn immer noch mit einer Frisur zeigt, die Haarcreme voraussetzt. Aber die Augen sind dieselben, als ob er eher auf eine Pistolenmündung als auf eine Fotolinse starrte. Die Angst, der lauernde, abwartende Zug. Wann kann er entkommen und seine lebenslängliche Flucht fortsetzen?
    Sie denkt, dass sie die Polizei anrufen und darauf hinweisen müsste, dass er sie mit aller Sicherheit aufsuchen wird, aber dann würde sie selbst in seine krummen Dinge hineingezogen und vielleicht mit verantwortlich gemacht, und sie verwirft diese Möglichkeit schnell. Dagegen bereitet sie sich auf seinen Auftritt vor, und im Kopf geht sie immer wieder durch, was er zu hören bekommt, draußen vor ihrer Schwelle, die er nie wieder überschreiten darf.
    Er kommt schon am nächsten Abend. Es ist kurz nach elf, und Eivor hat gerade ihre Bücher vorgeholt und sich an den Mangeltisch gesetzt, als es klingelt.
    Während sie zur Tür geht, fragt sie sich, wie er durch die Haustür gekommen