Daisy Sisters
in den meisten Altersheimen sind es überwiegend Frauen, und fast alle haben Männer oder Väter gehabt, die bei Domnarvet gearbeitet haben. Mit diesen Menschen ist sie leicht in Kontakt gekommen, und der Gedanke, sie jetzt zu verlassen … Nein, das muss sie mehr als einmal bedenken.
»Du kannst bis Montag darüber nachdenken«, sagt Liisa. »Aber dann erwarten sie, dass du vorher hochkommst und dich vorstellst. Und vergiss nicht, jetzt sind andere Zeiten!«
»Wieso?«
»Es gibt viele, die dabei sein wollen und sich um Arbeit schlagen.«
»Ich weiß nicht, ob ich will.«
»Das wirst du am Montag wissen. Montagmorgen!«
Und um ihren Worten Gewicht zu verleihen, lehnt sie es ab, zu bleiben und eine Tasse Kaffee zu trinken. » Du musst denken, also brauchst du deine Ruhe.« Dann sammelt sie die Plastiktüten zusammen, ohne die sie anscheinend nicht leben kann, und stürmt aus der Wohnung.
Wie immer, wenn Eivor sich in einer Situation befindet, die eine Entscheidung fordert, vermag sie es nicht, sich selbstals Hauptperson zu sehen, von einer Anzahl von Satelliten umkreist. Es ist genau umgekehrt, es sind die Satelliten, die die Entscheidung treffen, und sie selbst ist nur eine Randfigur. Als sie nun versuchen soll, sich zu entscheiden, ob sie Lust hat, im Altersheim aufzuhören, und durch Domnarvets Portal zu treten ( wo solche wie sie hingehören, ins Zentrum der schwedischen Industrie, hallt Liisas Stimme wider), denkt sie also an Staffan, Linda und Elin. Was ist am besten für sie? Macht es einen Unterschied für ihre Kinder, wo sie ihr Geld verdient? Zu welchem Arbeitsplatz wird sie mit der größeren Zufriedenheit gehen und damit weniger mürrisch nach Hause kommen? In welchem Beruf sehen sie ihre Mutter lieber, als ungelernte, aber beliebte Hilfskraft im Altersheim oder als Kranführerin?
Dass Liisa bei einer Absage vermutlich rasen und damit drohen würde, die Freundschaft aufzukündigen, hilft Eivor auch nicht. Sie wagt es ganz einfach nicht.
Zum Frühjahr wird Staffan die Schule beenden. Seit sie nach Borlänge gekommen sind, ist es im Großen und Ganzen gut gegangen. Wenn er geschwänzt hat, so war es aus reiner Faulheit, er hatte es leicht, sich anzupassen, und Eivor konnte allmählich die große Angst des letzten Jahres in Göteborg zu den Akten legen. Aber zu ihrer großen Enttäuschung lehnt er es kategorisch ab weiterzulernen, obwohl er leicht mitkommt. Er hat versprochen, die Grundschule zu beenden, aber dann ist Schluss! Was er danach für Pläne hat, davon hat Eivor nur äußerst diffuse Vorstellungen. Geld verdienen ist die Standardantwort, und wenn sie weiterfragt, riskiert sie den offenen Krieg.
Als Staffan einige Stunden nach Liisas Besuch heimkommt, um sein Essen in sich hineinzuschlingen, zu duschen, sich umzuziehen und genauso schnell wieder zu verschwinden, teilt Eivor ihm die Neuigkeit mit. Sein einziger Kommentar,während er Kleider aus seinem Schrank zieht, besteht in der Frage, ob sie besser bezahlt würde. Als sie sagt, dass sie bei Domnarvet bedeutend mehr verdienen würde, ist er natürlich der Meinung, sie solle so schnell wie möglich dort anfangen. Und dann ist er weg. Eivor sammelt seine Sachen zusammen, die er großzügig um sich verteilt hat, und grübelt weiter. Was denkt Staffan wirklich? Das will sie wissen, auch wenn sie gezwungen sein sollte, die Antwort aus ihm herauszuschütteln.
Am Sonntagnachmittag radelt sie mit Elin zur Trabrennbahn nach Romme. Linda ist es in hartem Konkurrenzkampf geglückt, während der Trabrennen einen Platz als Extrahilfe in einer Würstchenbude zu ergattern. Eivor hat die Trabrennbahn bisher nicht besucht, aber da der Septembersonntag schön ist und sie ihrer Grübeleien wegen sowieso nichts anderes tun kann, will sie sich die Würstchen verkaufende Tochter ansehen. Als sie den Tunaväg entlangradelt, Elin hinter sich auf dem Rad, denkt sie, dass sie noch nie eins ihrer Kinder bei einer bezahlten Arbeit gesehen hat. Die Zeit, als sie gegen ein kleines Entgelt ihre Zimmer selbst geputzt haben, liegt plötzlich unendlich weit zurück …
Elin ist sofort fasziniert von den Pferden und drückt das Gesicht gegen den Zaun. Eivor nähert sich der Würstchenbude, die nach der Beschreibung die sein muss, in der Linda arbeitet. Sie will nicht gesehen werden, wer weiß, wie Linda reagiert, wenn sie plötzlich ihre Mutter entdeckt … Es dauert eine Weile, bis sie ihre Tochter erkennt, aber da ist sie, und Eivor empfindet eine plötzliche Freude.
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