Daisy Sisters
bilden, und wirft sie wie Reiskörner ins Treppenhaus. Die letzte Nacht waren die Kinder bei Jacob in Borås, und es ist geplant, dass sie erst am nächsten Tag nach Borlänge kommen sollen, wenn Eivor schon ein wenig ausgepackt hat und die Möbel an ihrem Platz stehen. Liisa hat versprochen, sie in Borlänge mit ein paar tüchtigen Kameraden zu erwarten.
Es ist zehn Uhr am Samstagvormittag, als sie in den Lastwagen klettert und sich neben den Fahrer Janne setzt, der an den Lippen kaut und französische Musik von der Kassette hört ( Musik für Verliebte! ).
»Alles klar?«, fragt er und schaut sie an.
Sie nickt.
Als der Lastwagen Göteborgs ausgedehnte dichte Bebauung hinter sich gelassen und die Fahrt nach Dalarna aufgenommen hat, kauert sich Eivor in ihrer Ecke zusammen und schließt die Augen. Sie schlummert ein, und die Gedanken bilden eigentümliche Muster in ihrem Kopf.
Es waren nur wenige Wochen vergangen, seit Eivor und Liisa sich in Hallsberg getroffen hatten – die große Wiedervereinigung, wie sie ihr Treffen später nannten –, als ein wahrer Strom von Briefen und Ansichtskarten mit eigentümlichen Motiven von Borlänge einzutreffen begann. Eine Wohnung in Borlänge zu bekommen sollte nicht so schwer sein. Schon Anfang der siebziger Jahre zeigten sich allmählich die Folgen des hochmütigen Booms, und es wurde immer schwieriger, genügend Mieter für die neuen Wohnungen zu finden. Borlänge war keine Ausnahme, und von verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften, mit denen Liisa in Kontaktgetreten war, kamen verlockende Prospekte. Zu dieser Zeit fing Eivor auch vorsichtig an, mit Staffan und Linda über den Umzug zu sprechen. Staffan, der zumindest vorübergehend vom Tiefpunkt seiner Talfahrt eingeschüchtert worden zu sein schien, als er wie ein verschmutztes Knäuel von zwei erschöpften Polizisten nach Hause gebracht worden war, begegnete ihren Worten mit Gleichgültigkeit oder Desinteresse.
Aber zu dieser Zeit hatte Eivor angefangen, in seinen Augen zu lesen, noch bevor sie von ihm eine Antwort bekam, und sie hatte darin einen Anflug von Neugier bemerkt. Lindas Reaktion war ein entschiedenes Nein. Sie wollte natürlich nicht die Schule wechseln, sich von ihren Freundinnen, ihren Teenagerschwärmereien, ihrem Sport trennen. Aber trotzdem fiel es Eivor leichter, Lindas Reaktionen zu begegnen, auch wenn sie von Weinen und zugeknallten Türen begleitet wurden. In gewisser Hinsicht war Lindas Reaktion ihren eigenen Gefühlen verwandt. Was würde sie eigentlich in Borlänge machen? Welche Garantien gab es, dass keine anderen Probleme, vielleicht sogar schlimmere als die in Frölunda, hinter der Idylle in Dalarna lauerten? War sie vielleicht wieder einmal auf der Flucht vor einem Problem, statt sich ihm zu stellen? In diesem Sinne schrieb sie auch an Liisa und bekam eine rasende Depesche als Antwort, die reinste Kriegserklärung. Aber solange Liisa nicht berichten konnte, dass sie eine Arbeit für Eivor in Borlänge hatte, besaß sie die wichtigste Trumpfkarte von allen: Sie musste sich nicht beeilen. Und solange Staffan sich wieder um seine Schularbeiten zu kümmern schien und die Kreise mied, in denen er sich vorher herumgetrieben hatte, gab es keinen Grund, sich auf eine unorganisierte Flucht zu begeben.
In Borås saßen Jacob und Großvater und Großmutter und sahen auf ihre ungewissen Pläne mit einer Mischung aus Unruhe und Nachsicht. Erst Neujahr 1975, als Liisa einesAbends ins Telefon schrie, dass es Arbeit gebe, als Staffan seine Schulbücher wieder in die dunkelste aller Ecken schmiss, bekam das Ganze etwas mit der Wirklichkeit zu tun. Als dann nicht einmal mehr Linda viel Widerstand leistete, vor allem wegen einer unglücklichen Liebe zu einem viel zu alten Popmusiker, nahm Eivor die Sache tatsächlich in Angriff. Während weniger kurzer Tage, in denen sie kaum Zeit hatte, sich um Elin zu kümmern, die sich mitten im unruhigsten Krabbelalter befand, fasste sie eine Reihe von Beschlüssen. Es war, als ob der Kamm des Berges erreicht wäre und das Rad nun aus eigenem Antrieb mit immer höherer Geschwindigkeit hinabrollen könnte. Die Arbeit, die Liisa ihr in Aussicht stellen konnte, bestand eigentlich aus zwei Teilen. Es handelte sich um eine vorübergehende Beschäftigung und ein Versprechen auf eine zukünftige Anstellung bei Domnarvets Järnverk, am gleichen Platz wie Liisa, als Kranführerin. Wie Liisa es eigentlich fertiggebracht hatte, all diese Zusagen zu erwirken, darüber bekam Eivor
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