Daisy Sisters
entschlossen, nachdem du heute Morgen schon weg warst. Außerdem bekommen wir jede eine Wurst mit Brot.«
»Äh …«
»Doch, das mein ich so! Wir sind hungrig! Elin, du willst doch sicher eine Wurst haben? Da siehst du! Aber nur mit Senf. Und ich bezahle.«
Linda ist zufällig alleine im Kiosk, und nach einem schnellen Blick über die Schulter schiebt sie den Zehner zurück, den Eivor auf die fleckige Theke gelegt hat.
»Das kannst du doch nicht machen«, sagt Eivor und ist sofort beunruhigt, dass jemand ihre Tochter gesehen haben könnte, wie sie mit dem grundlegendsten aller Geschäftsprinzipien bricht.
»Tu das Geld weg«, zischt Linda, und Eivor beeilt sich, den Schein zurück in die Tasche zu stopfen.
»Wir radeln auch bald nach Hause«, sagt sie. »Kommst du zum Essen?«
»Das weiß ich noch nicht.«
»Es gibt etwas, worüber ich gerne mit dir reden möchte.«
»Was denn?«
»Das dauert viel zu lange, um hier damit anzufangen!«
»Sag, was es ist!«
»Komm zum Essen, dann wirst du es hören! Hej! Danke für die Wurst!«
Die Pferde stürmen los, hinter ihrem Rücken hört sie eine Glocke läuten, und das Gemurmel nimmt zu, um sich dann in zwei Teile zu spalten, enttäuschtes Murren und anfeuernden Applaus. Eivor geht mit Elin an der Hand zum Ausgang. Sie denkt daran, dass Linda jetzt schon älter ist, als sie damals war, als sie Elins Vater, Lasse Nyman, zum ersten Mal getroffen hat, vor dem gelben Mietshaus in Hallsberg. Sie schaut zu Elin hinunter, und für einen kurzen Augenblick glaubt sie ihren Augen nicht zu trauen. Aber da steht Elin, ihr Bündel Wettscheine in der Hand, immer mehr ihrem Vater gleichend mit dem mageren Gesicht und den klarblauen Augen.
Und dann Linda, die junge Linda, die gestern noch ein Kind war. Wie oft hat sie sich nicht selbst das Versprechen gegeben, dass Linda nicht genauso unvorbereitet und ungeschützt in die Erwachsenenwelt eintreten sollte. Aber was hat sie davon zuwege gebracht? Die Welt hat sich so verändert in den letzten zwanzig Jahren, dass Eivor oft glaubt, ihre eigenen Erfahrungen wären unmodern geworden und hätten mit Lindas Leben nichts mehr zu tun. Die Gespräche, die sie über die heikelsten und schwierigsten Themen hatten, mündeten immer in ein zweifelhaftes Schweigen. Linda saß da und starrte ihre Mutter an, als ob sie nicht ganz gescheit wäre, und Eivor fühlte sich einfach blöde. Sie kommt nie hinter den unsichtbaren Vorhang, den die Tochter zwischen sich und ihre Mutter spannt. Nur wenn sie unglücklich ist,meistens unglücklich verliebt, lässt sie Eivor an sich heran, und das sind Momente großer Vertrautheit. Aber sobald Linda ihre verlorene Balance wiedergefunden hat, zieht sie sich zurück, und alles ist wie zuvor.
Hat sie schon mit einem Mann geschlafen? Nicht einmal das weiß sie, und sie wagt nicht zu fragen. Aber warum wagt sie es nicht? Wird sie erst mit ihr sprechen, wenn es zu spät ist? Aber Gott sei Dank kann ihre Tochter ja eine Abtreibung vornehmen lassen, falls es passieren sollte, die finsteren Zeiten sind wohl endlich vorbei.
Ich muss mit ihr sprechen, denkt sie. Heute Abend.
Einer Sache ist sie sich nämlich sicher, dass Linda zum Essen auftauchen wird. Die Neugier leuchtete in ihren Augen. Natürlich ist sie überzeugt, dass sich das, was sie zu hören bekommen wird, um sie dreht.
Sie schließt das alte Fahrradschloss auf und denkt daran, dass sie bald eine neue Kette kaufen muss, als sie ein Rufen hört. Sie dreht sich um und entdeckt den Mann von vorhin, der fluchend angelaufen kommt.
Er wedelt mit einem Wettschein in der Hand. »Ich dachte, sie kann die hier auch haben«, sagt er und lächelt Elin an.
»Klöver Blomman?«
»Genau die. Bitte schön!«
Er geht in die Hocke, und Elin nimmt die Quittung entgegen. Eivor empfindet es als etwas eigentümlich, dass Elin nicht scheuer vor dem fremden Mann ist. Meistens pflegt sie Schutz zwischen Eivors Beinen zu suchen, wenn sie es mit Fremden zu tun hat. Es war bestimmt seine natürliche Art. Kein Getue, keine Verstellung. Er muss selbst Kinder haben, denkt Eivor.
»Vorbei«, sagt er, als er aufsteht. »Es sollte einem scheißegal sein. Es ist ja noch nicht einmal spannend.«
»Nicht?«
»Nein. Was ist spannend daran, wenn man immer schon weiß, dass man verliert?«
»Ich dachte, man … Ja … Man hofft doch wohl?«
»Tust du das?«
»Ich? Nein, ich wette ja nicht. Ich bin heute zum ersten Mal hier.«
»Aber sonst, hoffst du?«
»Worauf denn?«
»Nein …
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