Daisy Sisters
sagt sie. »Jetzt hast du es wohl nicht mehr eilig?«
Ester hilft ihr aus dem Mantel und bittet sie, sich zu setzen. Dann kocht sie richtigen Kaffee, ein paar Bohnen hat sie gespart. Kann Elna die Kaffeemühle nehmen und mahlen? Dann wird sie unterdessen etwas Kuchen auftischen.
Ester ist klein und sehr dick, die Beine sind geschwollen und gewickelt, ihr Gesicht ist hochrot, und sie ist immer verschwitzt. Sie atmet schwer, bewegt sich jedoch mit erstaunlicher Leichtigkeit. Aber dass sie auf den Knien liegen und Bodenbretter schrubben kann, das ist unbegreiflich. Trotzdem lebt sie davon, und niemand putzt den Boden reiner und duftender als sie. Manchmal springt sie außerdem als Hilfsköchin ein, wenn eine größere Veranstaltung im Festsaal des Hotels stattfindet. Ihr Mann arbeitet im Werk, ihre zwei Töchter sind Laufmädchen in einem Farbenhandel und einem Kurzwarengeschäft, beide mit Aufstiegsmöglichkeiten zur Verkäuferin.
»Auf welche Art sind wir eigentlich verwandt?«, fragt Elna plötzlich.
Ester lacht und trocknet sich den Hals mit einem Taschentuch, das sie aus der Armbeuge zieht. »Wie du und ich verwandtsind, weiß ich nicht«, sagt sie. »Aber deine Mama und ich sind entfernte Cousinen.«
Elna nimmt ein Stück Zuckerkuchen. Sie hat gemerkt, dass sie eine unmäßige Lust auf alles bekommen hat, was süß ist – oder salzig. Sie vermutet, dass das mit der Schwangerschaft zu tun hat; sie erinnert sich an ein Pausengespräch aus dem letzten Schuljahr, als ihr eine Schulkameradin anvertraute, dass sie ein Schwesterchen bekommen würde. Als Elna fragte, woher sie das wisse, bekam sie zur Antwort, dass die Mama plötzlich angefangen hätte, an Tannenzapfen zu saugen – und das hatte sie auch getan, bevor der Bruder auf die Welt kam. Tja, so hing das wohl zusammen.
Der Zuckerkuchen ist gut, und bei Ester fühlt sie sich geborgen. Wenn sie doch bei ihr wohnen könnte, es vermeiden könnte, die Treppe hinaufzugehen zu den stummen Eltern, die sich nie einigen können, ob sie ihr nun helfen oder sich die Augen aus dem Kopf schämen sollen.
»Nimm mehr«, sagt Ester. »Ich hab extra für dich gebacken. Ich wusste, dass du heute kommen würdest. Hierherkommen.«
Hierherkommen? Warum sagt sie nicht nach Hause kommen würdest? Und – für sie gebacken?
»Das hier wird bestimmt gut gehen«, fährt sie fort. »Du bist nicht die Erste, die so etwas durchmacht. Und sicher auch nicht die Letzte. Wenn eines meiner Mädchen nach Hause käme und ihr wäre dasselbe passiert wie dir … Da hätte ich, jedenfalls so gut ich könnte, geholfen. Und gnade dem Alten, wenn er anfinge zu motzen. Ich bin zwar fett wie eine Gans, aber da wäre ich so wütend geworden, dass ich es geschafft hätte, ihn zu verprügeln.«
Und dann, mit leiser Stimme: »Ich weiß ja, dass es nicht leicht für dich ist da oben. Ich hab’s ja gehört. Aber du sollst wissen, dass du jederzeit herkommen kannst zu mir, wenn eszu beschwerlich wird. Nicht weil wir miteinander verwandt sind oder weil du mir leidtust. Sondern weil ich dich mag. Ich dachte, du solltest das wissen.«
Elna steigen Tränen in die Augen, ihr steigen jetzt immer gleich Tränen in die Augen.
Aber Ester schüttet nur den letzten Rest Kaffee in ihre Tasse und lässt sich nichts anmerken. »Komm wieder her«, sagt sie, als Elna geht. Und Elna verspricht es. Klar macht sie das. Sie wird viel Zeit haben, jetzt steht ja nichts anderes mehr an, als zu warten.
Auf was? Dass das Unfassbare wirklich eintrifft, dass sie ein Kind zur Welt bringt. Aber weiter als bis dahin reicht ihr Vorstellungsvermögen nicht, danach hört alles auf. Das ist es also, was sie tun kann, darauf warten, dass sich zeigt, dass wirklich alles vorbei ist …
In der Tür dreht sie sich um und schaut Ester an. »Was passiert dann?«, sagt sie. »Mit …«
Ester wackelt zur Tür und legt ihre großen roten Hände auf ihre Schultern: »Das werden wir dann schon sehen«, sagt sie. »Erst wenn es da ist, wirst du fühlen, wie es ist.«
»Ich will dieses Kind nicht haben«, schreit sie.
Manchmal drängt alles heraus, eine aufgestaute Verzweiflung bricht aus ihr hervor.
Ester hält sie fest, sie sagt nicht, dass sie sich beruhigen soll, sie redet ihr zu, sich auszuweinen, zu kratzen, etwas zu zerschmeißen … Alles, was sie will. Aber jetzt kommt kein Weinen, nur dieser eine Schrei.
»Natürlich willst du es nicht«, sagt Ester. »Aber jetzt können wir nichts machen. Wir werden schon sehen, wenn es so weit
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