Daisy Sisters
hat er nicht mit rausgenommen. Es gehen ja nun trotz allem Menschen auf der Straße, und wer weiß, was für Gerüchte in so einem Loch wie hier in Gang gesetzt werden. Plötzlich können da einige Übereifrige aus dem Gesundheitsamt am Zaun stehen, und dann kommt er in eine Entzugsanstalt, davon gibt es genug im Lande. Nein, wenn er Nachschub braucht, geht er in die Küche. Im Garten sitzt er nur da, fühlt den milden Sommerwind, lauscht den Vögeln. Und da sitzt er auch, als Eivor in ihrem weißen Kleid von der Schulabschlussfeier kommt. Sie ist nicht allein, sie hat ihre beste Freundin bei sich, Åsa, Åsa Hansson, Tochter einer Konsumverkäuferin. Sie winken ihm vom Weg zu, und er winkt zurück.
»Jetzt ist Schluss«, ruft Eivor. »Endlich. Das hier ist Åsa.«
»Was ist das nun für ein Gefühl?«, fragt er.
Åsa Hansson wird an der Realschule in Örebro weitermachen.Im Sommer hilft sie einem Onkel beim Erdbeerpflücken.
»Sie hat ein prima Zeugnis bekommen«, sagt Eivor.
»Wie du auch«, sagt Åsa.
»Ärgerst du dich nicht?«, fragt Anders.
»Weswegen?«
»Dass du mit der Schule nicht weitermachst.«
»Auf keinen Fall. Ich komme schon klar.«
»Tut sie das, Åsa?«
»Klar, das tut sie bestimmt.«
Mehr wird nicht gesagt. Am Abend sollen die Klassen irgendwo ein Fest haben, und so direkt nach dem Abschluss kann man unmöglich ruhig bleiben. Die große Freiheit ist immer von Unruhe gezeichnet.
Sie verschwinden in ihren hellen Kleidern, und Anders ist wieder allein in seinem Garten.
3. Juli 1956. Ein schöner Morgen nach einer Nacht mit anhaltendem Regen. Anders, der nicht schlafen konnte vor Reisefieber, hat gesehen, wie Erik mehrere Male am Schlafzimmerfenster erschien und düster in den Regen starrte. Aber gegen Morgen begann der Regen nachzulassen, und um sechs Uhr war der Himmel nahezu wolkenlos.
Die Abreise ist für acht Uhr geplant. Um sechs beginnen Erik und Elna damit, das Auto zu beladen, während Eivor weiterschläft. Anders hat seinen neuen Koffer seit mehreren Tagen fertig gepackt und zugemacht. Lange konnte er sich nicht entscheiden, ob er seinen alten Tourneekoffer nehmen sollte oder einen neuen. Aber nachdem sich der Handgriff gelöst hatte, als er den alten aus dem Staub unter dem Bett hervorzog, sah er ein, dass er einen neuen kaufen musste. Das machte ihm einen gewissen Kummer, schließlich hat der Koffer ihn begleitet, seit …
Ja, wie viele Jahre waren das eigentlich? Herrgott, er erinnert sich plötzlich ganz deutlich, dass er diesen Koffer bei sich hatte, am letzten Tag, als Miriam noch lebte.
In den neuen Koffer hat er seine neu gekaufte Unterwäsche gestopft, Strümpfe und Hemden, eine Zahnbürste und so viele Flaschen, wie Platz fanden. Von Erik kann er einen Schlafsack leihen, und das ist mehr, als er während seiner vielen Wanderjahre besaß, da musste er sich mit Heu und Zeitungspapier begnügen.
Erik, ja. Er wundert sich über diesen merkwürdigen Mann, der müde und gebeugt zur Arbeit trottet, aber leicht wird wie ein Frühlingsschmetterling, wenn er sein Auto polieren kann, es zur Probe startet und bis ins kleinste Detail untersucht. Wer ist er eigentlich, der Ehemann der schönen Elna und der Stiefvater von Eivor?
Eine Woche im selben Auto, da wird es sich zeigen.
Um acht Uhr ist alles im Auto verstaut. Das Zelt liegt unter einer grauen Plane auf dem Dach, der Kofferraum ist vollgepackt. Anders’ Koffer liegt zuoberst.
»Willst du vorne sitzen?«, fragt Erik. Wenn es ums Auto geht, ist er es, der bestimmt.
»Ich sitz auch gerne hinten«, antwortet er.
»Du wirst nicht reisekrank?«
»Nein, ist mir noch nie passiert.«
So sitzen er und Eivor auf der Rückbank. Es wird ihm sofort schlecht, aber er beißt die Zähne zusammen.
Sie verfahren sich nach kurzer Zeit. Es war ausgemacht, dass sie es den ersten Tag ruhig angehen lassen und nur bis zu einem Zeltplatz vor Västerås kommen wollten. Aber Erik hat die Karte studiert und viele interessante Abkürzungen gefunden. Das heißt, dass sie von der Hauptstraße nach Örebro abbiegen und irgendwo am Kvismarekanal landen, bevor auch Erik zugeben muss, dass sie sich verfahren haben.Aber was macht das schon? Hat man nicht zwei Wochen Ferien? Wenn es jemand eilig hat, so gibt es ja noch den Zug …
Nein, natürlich hat es niemand eilig, es ist schön in Odensbacken und an Hjälmarens Südstrand, aber es ist noch zu früh, um den Essenskorb auszupacken. Also suchen sie den Weg zurück zur Hauptstraße.
Eivor
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