Daisy Sisters
Prachtlümmel, wenn er ein bisschen Cognac intus hat. Abgesehen davon, dass die Italiener vielleicht unnötig heftig reagiert haben – sicher hätte es eine mündliche Beschimpfung auch getan –, versteht er sie gleichzeitig auch. Sicherlich gibt es überall auf der Welt Stinkstiefel, er hat viele getroffen während seines Umherziehens in Europa. Aber da ist so etwas Grenzenloses in der schwedischen Stieseligkeit, das fast immer mit Alkohol einhergeht. Entweder weint man sich die Augen aus den Höhlen, oder man läuft Amok.
Erik hat mit anderen Worten eine normale Seite gezeigt, als er da mit seinem Cognac saß. Aber es gibt noch so vieles bei ihm, was Anders verwundert. Was war es noch mal, worüber sie geredet haben …
Seine Gedanken werden unterbrochen, als er hört, wie Elna die Hintertür des Autos öffnet und leise mit Eivor redet. »Er schläft jetzt«, sagt sie. »Komm rein und leg dich hin.«
Was Eivor antwortet, kann er nicht hören, aber aus Elnas Antwort reimt er sich zusammen, dass sie dort bleiben will, vielleicht kommt sie etwas später rein.
Und Elna protestiert nicht. »Mach, was du willst«, sagt sie nur. »Schlaf gut.«
Um vier Uhr steckt Anders den Kopf hinaus in Tau und Morgendunst. Er hat einige Stunden gedöst, bestürmt von unruhigen Traumbildern, und dann, plötzlich, war er hellwach. Er ist steif im Rücken, die Beine schmerzen, das Zelt ist so eng, dass er mit knapper Not durch die Öffnung nach draußen kommt, ohne das Zelttuch wie ein Schneckenhaus hinter sich herzuziehen.
Da draußen sitzt Erik auf der Stoßstange des Autos.
Und auf dem Rücksitz schläft Eivor, zusammengerollt wie ein Kätzchen.
Erik starrt vor sich hin. Die Nase ist blau und geschwollen, die Lider sind schwer.
»Du bist wach«, sagt Anders.
Was, zum Teufel, soll er anderes sagen? Er versteht, wie es Erik geht, die Reue leuchtet aus seinen Augen. Und er kann keinen Morgenschluck nehmen, um mit dem Schlimmsten fertig zu werden, er muss ja Auto fahren.
»Was ist passiert?«, murmelt er. »Die Nase …«
Anders berichtet in kurzen Zügen.
»Aber wir zwei hatten es lustig«, schließt er. »Wir sollten öfter miteinander reden.«
Erik sieht ihn mit flehendem Blick an. Sagt er die Wahrheit? Oder lügt der Alte? Und warum liegt Eivor im Auto?
»Du weißt doch, wie Kinder so sind«, antwortet Anders. »In ihrem Alter. Da will man seine Ruhe haben. Und dann schläft man plötzlich. Wo auch immer.«
»Da ist nur eine Sache, über die ich mich wundere«, sagt Erik nach einer Weile mit leiser Stimme. »Das ist, warum sie ASEA gerufen haben.«
»Sie arbeiten da wohl«, antwortet Anders. »Wir sind schließlich in Västerås. Oder vielleicht wollen sie dort Arbeit suchen. Ich hab mal gelesen, dass man im Ausland nach Arbeitern sucht.«
»Warum das?«
»Es gibt nicht genug Schweden, die die Arbeit machen wollen. Man findet vielleicht niemanden.«
Erik nickt. Ja, so muss das wohl zusammenhängen. Aber …
»Was?«
»Nein … Nichts. Pfui Teufel, wie ich mich fühle.«
»Das geht vorbei. Ich weiß das.«
Erik antwortet nicht, kommentiert die Bemerkung nicht, sondern fährt nur mit seinem eigenen Stöhnen fort. »Habe ich was Dummes gesagt gestern?«
»Nein …«
»Sicher?«
»Ganz sicher.«
Anders macht einen langsamen Spaziergang über den Zeltplatz. Vorsichtig trampelt er Leben in seine Beine, passt auf, dass er nicht über die Zeltpflöcke und -leinen stolpert. Der Nebel ist in eine eigentümlich graue Morgendämmerung übergegangen. Er hat plötzlich die Vorstellung, die ganze Zeltstadt sei aufgegeben worden. Wie ein Schlachtfeld, das hastig evakuiert wurde.
Ein Friedhof mit grau-weißen Steinen.
Er schüttelt sich und geht vorsichtig zurück.
Aber plötzlich bleibt er stehen.
Erik sitzt da und weint, mit den Händen vor dem Gesicht.
Erst als Erik seine Tränen getrocknet hat, geht Anders zu ihm hinüber. Da hat der Nebel sich zu lichten begonnen, die Sonne drängt sich durch, der Tau trocknet.
Sie brechen zeitig auf. Sie nehmen sich nicht einmal die Zeit, Kaffee auf dem Spirituskocher zu kochen. Es ist offensichtlich, dass Familie Sjögren aus Västerås verschwinden will, so schnell es irgend geht.
Ich hätte zu Hause bleiben sollen, denkt Anders. Wie, zum Teufel, soll das hier enden?
Aber als sie endlich wieder auf der Straße angelangt sind, fühlen sie sich auch wieder wie in Ferien. Eriks Kater und seine geschwollene Nase sind immerhin keine zu verachtende Urlaubserinnerung, kein
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