Daisy Sisters
immer noch auf unseren Rädern sitzen und über dieselben Hänge trampeln würden wie vor fünfzehn Jahren.«
»Du bist immer noch die Alte«, sagt Elna.
Vivi zieht ein Gesicht. »Sag das nicht.«
»Warum nicht?«
»Kannst du dir etwas Schlimmeres vorstellen? Sich nicht zu verändern?«
Eivor ist verlegen in Vivis Gesellschaft. Diese Direktheit kennt sie nicht. Vivi prescht vor wie ein Windhund, ihre Art, ihr in die Augen zu schauen, Fragen zu stellen, gleich zur Sache zu kommen …
»Erzähl«, sagt sie zu Eivor.
Eivor wird rot, weiß überhaupt nicht, was sie antworten soll.
»Ich hab eigentlich nichts zu erzählen«, murmelt sie und kratzt mit dem Nagel auf dem Tisch.
»Das kann nicht sein.«
»Du musst doch nicht schüchtern sein«, sagt Elna. Und da wird Eivor natürlich wütend. Dass ihre Mutter nie im richtigen Moment die Klappe halten kann! Jetzt muss sie sie vorführen, die Tochter, wie einen Zirkushund.
Drei Frauen auf einem Schiff, an einem Julitag, auf dem Weg nach Kopenhagen. Zwei Jugendfreundinnen und die Frucht einer Sommernacht vor vielen Jahren. Wenn ich nunVivi zur Mutter gehabt hätte, denkt Eivor. Wenn sie es gewesen wäre, die mich während des Krieges als Kind im Bauch gehabt hätte? Dann hätte sie Skånisch gesprochen. Wäre Hallsberg entkommen. Könnte nach Kopenhagen fahren, wann es ihr passte. Würde nicht neben einer Mutter sitzen, die am Tischtuch zupft und so verschreckt aussieht.
»Kopenhagen«, sagt Vivi, und Eivor sieht, wie die Fähre in die Hafeneinfahrt gleitet. Große Lastkähne mit fremden Flaggen liegen an dem scheinbar unendlichen Kai. Die Häuser sehen anders aus als in Schweden, eine weißrote Flagge mit drei Zungen weht von einem Militärfahrzeug, und es ist ein tolles Gefühl, außerhalb von Schweden zu sein, Schwedin zu sein und Eivor zu heißen in einem fremden Land.
Sie betritt den Kai und die fremde Erde und versteht nicht ein Wort von dem, was die Leute sagen. Es hört sich an, als ob alle wütend wären. Aber gleichzeitig ertönt Lachen um sie herum. Dänemark also. Wut und Lachen.
Eivor schaut Vivi an, und sie lächelt. »Wir gehen ins Zentrum«, sagt sie.
»Es sieht nach Regen aus«, sagt Elna und schaut zum Himmel auf.
»Jetzt fängt sie schon wieder an«, denkt Eivor. »Das Erste, was sie sagt, wenn sie nach Dänemark kommt, ist, dass es regnen könnte.«
»Dann springen wir einfach in ein Café«, erwidert Vivi. »Davon gibt’s jede Menge in Kopenhagen.«
Ströget. Die Hauptader durch die Stadt. Menschen, die sich von allen Seiten drängen, in Geschäften verschwinden oder in kleinen Gassen, die geheimnisvoll aussehen, andere Menschen, die aus dem Dunkel der Gassen herauskommen und in den mächtigen Menschenstrom hineingleiten. Da ist etwas in den Gesichtern, die an Eivor vorbeieilen, etwas Vertrautes, Gemütliches. Hier bekommt sie keine Angst, nichteinmal, als sie vor einem Schaufenster stehen bleibt und dann plötzlich bemerkt, dass Elna und Vivi verschwunden sind. Sie geht einfach weiter, und an der nächsten Straßenkreuzung stehen sie auch schon und warten.
»Du gehst hier verloren«, sagt Elna.
»Wenn du das noch einmal sagst, kann es passieren, dass ich das mache«, faucht sie.
Vivi schaut sie an, verwundert, aber gleichzeitig amüsiert.
»Jetzt ist Grün«, sagt sie und zerschlägt den Knoten zwischen Mutter und Tochter. Ohne viel Aufhebens, bestimmt, als sei es die selbstverständlichste Sache der Welt.
»Genau so«, denkt Eivor. »Ganz genau so.« Eine Bagatelle. Aber hätte sie ihr nicht Bescheid gesagt, so wäre die Mutter zum Schiff zurückgekehrt und wäre den Rest des Tages sauer gewesen.
Wie in aller Welt können sie einmal beste Freundinnen gewesen sein? So verschieden, wie sie sind? Die eine jammert wegen des Regens wie ein verschrecktes altes Weib, die andere trägt den Kopf hoch und ist in Kopenhagen zu Hause wie in ihrer eigenen Küche. Das kann nicht nur Gewohnheit sein. Da muss es einen Unterschied geben! Wie zwischen einer Kuh und einer Katze!
Aber leider behält Elna recht damit, dass es regnen wird. Sie sind gerade bis zum Rathausplatz gekommen, als die schwarzen Wolken sich auftun zu einem gewaltigen Schauer.
»Dahin«, zeigt Vivi. »Da rein, die Treppe runter.«
Eine Kneipe, Rauchwolken, Geklapper von Gläsern und Flaschen, Holztische, Biergeruch. In diesem überfüllten Lokal übertrifft sich Vivi selbst, indem sie eine Tischecke und drei freie Stühle entdeckt. Sie haben es gerade geschafft, sich auf die
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