Daisy Sisters
sie sich einbilden, dass er ihnen direkt in die Arme fährt, dann irren sie sich. Er weiß, wie er sich verhalten muss. Sein Namensvetter in der Anstalt von Mariefred, Lasse Bråttom, hat ihm viele Stunden gewidmet, um ihm beizubringen, wie man entkommt. Sperren werden nur auf den Hauptstraßen errichtet, und es gibt keine Stadt in Schweden, die diesen Namen verdient, die nicht auch eine Anzahl kleiner Straßen hat, die in die gleiche Richtung führen. Lasse Nyman hat diese Lektion gelernt, und jetzt kann er sein Wissen anwenden. Der erste Punkt auf seiner Tagesordnung ist der, sich ein neues Auto zu beschaffen. Dieses Fahrzeug hat nun ausgedient, Farbe und Kennzeichen sind der Polizei bekannt.
In Lindesberg hält er und befiehlt Eivor, das Auto zu verlassen. Den Revolver stopft er in den Hosengürtel. Jetzt trachtet er nicht länger danach, sich an Hauswänden entlangzudrücken, jetzt gilt es, sich so natürlich wie möglich auf den Straßen zu bewegen. Dass es noch relativ früh ist, dass die Leute noch nicht zu Hause sind und schlafen, ist nicht zu ändern. Das erstbeste Auto, und dann nichts wie weg.
»Verstehst du?« Er erklärt ihr hastig seine Pläne.
Sie denkt nur daran, wegzurennen, wie verrückt zu schreien, aber es ist, als ob der Revolver in ihrer Nähe sie hindert. Würde er sie wirklich niederschießen, mitten auf der Straße, auf diesem Platz, dessen Namen sie nicht kennt? Aber warum eigentlich nicht? Hat er nicht, ohne zu zögern, abgedrückt, gegen einen alten Mann, der ihm niemals Schaden hätte zufügen können? Sie folgt ihm, in stummem Gehorsam.
Im Volkshaus findet irgendein Treffen statt. Die Fenster zur Straße sind erleuchtet, Männerköpfe erscheinen hinter den Scheiben. Und da stehen mehrere geparkte Autos vordem Haus, außerdem ein paar auf der Rückseite, im Schatten des Hauses. Lasse Nyman steuert mit festem Schritt auf die Autos dort zu. Er tastet die Autotüren ab, und der dritte Türgriff, den er anfasst, gibt nach. Dass es ein Saab ist, hilft nichts, jetzt muss er nehmen, was er kriegen kann. Als ein Bus draußen auf der Straße vorbeifährt, startet er das Auto mit einem Reserveschlüssel, den der Eigentümer freundlicherweise im Handschuhfach zurückgelassen hat. Eivor kriecht neben ihn auf den Vordersitz, Lasse Nyman zieht eine Grimasse, als er sieht, dass der Benzinstand weniger als eine halbe Tankfüllung anzeigt, fluchend legt er den Gang ein, und sie sind wieder unterwegs. In die Nacht hinein, in die zunehmende Dunkelheit. Ein weiter Umweg, er wird sich der Hauptstadt von Norden nähern. Über Lindesberg, Gisslarbo, Surahammar, kleine Straßen nördlich von Uppsala, Richtung Roslagen raus, und dann runter nach Stockholm. Da dürfen sie lange warten mit ihren verdammten Sperren. Denn sie können sich bestimmt nicht denken, dass ein Autofahrer auf dem Weg von Mariestad aus Richtung Åskerberga nach Stockholm kommt.
Mitternacht, irgendwo bei Fjärdhundra. Er fährt das Auto auf einen Holzweg und schaltet das Licht aus. Jetzt kann er nicht mehr, jetzt muss er sich ausruhen. Die Straßenführung ist ihm immer öfter vor den Augen verschwommen, immer öfter ist er auf die falsche Seite geschlingert. Hier gibt es keinen, der sie entdeckt. Außerdem haben sie es nicht eilig, nach Stockholm zu kommen. Je länger es dauert, desto wahrscheinlicher ist es, dass die Straßensperren wieder eingezogen werden.
Sie sitzen im Dunkeln. Lasse Nyman raucht. »Jetzt wirst du auch gesucht«, sagt er. »Wie fühlt sich das an? Willkommen im Klub.«
Hätte sie es gekonnt und gewagt, so hätte sie ihn geschlagen.Sie will nicht gesucht werden, sie will nichts von dem, was geschehen ist.
Sie wollte ihm nur in die große Welt folgen, um endlich zu wissen, wie die aussieht. Aber er hat sie getäuscht, so kann sie nicht aussehen. Das ist schlimmer als alles, wovor der Pastor im Konfirmationsunterricht sie jemals gewarnt hat, als er von den verschiedenen Pfaden und Gesichtern der Sünde sprach.
Das hier ist so vollständig falsch. So vollständig sinnlos.
»Er hätte mich nicht von hinten anspringen sollen«, sagt Lasse Nyman wieder und wieder.
Eivor traut ihren Ohren nicht. Glaubt er wirklich selbst an das, was er da sagt? Wie sieht es eigentlich da drin in seinem Kopf aus?
Er hat doch einen Mord begangen!
Plötzlich fühlt sie, wie eine seiner Hände an ihrem Bein entlangtastet. Sie zuckt zurück, wird ganz steif. Es ist wie eine kalte Schlange, die angekrochen kommt, über den Schenkel, den
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