Daisy Sisters
Seiten rasen Polizeiwagen heran, halten mit quietschenden Bremsen, und bevor er die Pistole auch nur hochreißen kann, wird er von Polizisten zu Boden geschlagen. Ein Schäferhund steht jaulend direkt vor ihm. Am frühen Morgen ist alles vorüber. Das Letzte, was Eivor von ihm sieht, ist, wie er seine Lederjacke über den Kopf zieht und in eins der Polizeiautos gestoßen wird. Er ist stumm, er leistet keinen Widerstand. Das weiße Gesicht abgewendet, gegen die Brust gedrückt.
Und dann ist er fort.
In einem anderen Polizeiwagen wird Eivor weggefahren. Sie sitzt auf dem Rücksitz, rechts und links von ihr sitzen Polizisten. Keiner von ihnen kümmert sich darum, dass sie weint.
In einer Stadt mit einem roten Schloss auf einem Hügel wird sie verhört, und sie antwortet, so gut sie kann, auf die Fragen, die ihr gestellt werden. Sie bekommt Essen und Kaffee, und nur manchmal beginnt sie zu weinen. »Ich will nach Hause«, schluchzt sie, »nach Hause nach Hallsberg.«
»Bald«, bekommt sie zur Antwort. »Bald.«
Und schon am Abend wird sie zu einem wartenden Polizeiwagen geführt, der sie nach Hause fahren soll. Lasse Nyman hat im Verhör beteuert, dass sie nichts mit der ganzen Sache zu tun habe. Er allein ist verantwortlich. Für die Polizisten gibt es keinen Grund, das zu bezweifeln, der überlebende alte Mann hat keine andere Beschreibung des Tathergangs gegeben. Da ist nur eine Frage, auf die sie keine ehrliche Antwort gibt. Als der sie verhörende Polizist wissen will, warum sie allein ins Haus gegangen ist, sagt sie nicht, was Lasse Nyman ihr zu tun aufgetragen hatte, sie zuckt nur die Achseln.
»Damit er überraschender eindringen konnte?«, versucht es der Polizist, und sie nickt. Ja, so war das. Er fährt fort, Aufzeichnungen auf das gelbe linierte Papier zu machen, das vor ihm auf dem Holztisch liegt, und stellt seine nächste Frage. Sie antwortet so ausführlich wie möglich, aber als er sie bittet, den genauen Todesmoment zu schildern, beginnt sie zu weinen.
Schließlich hat sie alles gesagt, was es zu sagen gibt. Es ist, als ob sie über einen ganz anderen Menschen als sich selbst gesprochen hätte. Sie versteht nicht, dass sie es ist, um die es sich handelt.
Im Polizeiwagen schläft sie, und erst hinter Örebro wird sie geweckt, weil sie nun bald da sind. Außer dem Mann hinter dem Steuer ist noch ein Polizist mitgekommen. Er fragt, ob er ihr einen Kamm leihen soll und ob sie sich zurechtmachen möchte, aber sie schüttelt nur den Kopf.
»Ich komme mit dir rein«, sagt er. »Du musst dir keine Sorgen machen. Es ist jetzt vorbei.«
»Wissen sie Bescheid?«, fragt sie.
»Seit gestern wurde nach dir gefahndet«, antwortet er. »Bevor wir wussten, was da draußen vor Mariestad geschehen ist. Ja, sie wissen, dass du heute Abend nach Hause kommst. Hast du Angst?«
»Nein.«
»Es ist jetzt vorbei.«
Erik ist nicht zu Hause. Elna hat ihn gebeten wegzubleiben, und er hat das Auto genommen und fährt durch die Straßen. Sie steht am Fenster und sieht das Polizeiauto kommen.
Als Eivor in der Tür steht, bleich und müde, beginnt Elna zu weinen, zieht ihre Tochter an sich, und der mitfühlende Polizist schiebt sie ins Zimmer und schließt die Tür.
Als die Erleichterung darüber, dass Eivor unverletzt zurückgekommen ist, Elnas Tränen in Freudentränen verwandelthat, bietet sie dem Polizisten eine Tasse Kaffee an. Er lehnt dankend ab, er muss zurück nach Uppsala, das ist ein langer Weg.
»Kümmern sie sich jetzt um das Mädchen«, sagt er nur freundlich.
Elna missversteht ihn. »Ich habe nie etwas anderes in meinem Leben getan«, sagt sie.
»Das ist gut«, bekommt sie zur Antwort. »Es ist noch kein Schaden entstanden. Adieu.«
Als er gegangen ist und sie hören, wie das Auto auf der Straße verschwindet, setzt sich Elna dicht neben Eivor aufs Sofa und nimmt sie in den Arm. »Möchtest du etwas haben?«, fragt sie. Eivor schüttelt den Kopf. Nein, sie will nichts haben, sie will nur schlafen. »Wo ist Erik«, fragt sie.
»Er kommt bald. Möchtest du bestimmt nichts?«
»Nein, bestimmt nicht. Und frage mich auch nach nichts. Nicht jetzt. Später. Morgen.«
»Ich werde nichts sagen.«
Als es an der Tür schellt, erschrecken beide. Eivor fragt sich einen Augenblick lang, ob der Polizist seine Meinung geändert hat und sie doch wieder abholen will.
Aber es ist nur der alte Anders, der mit blutunterlaufenen Augen in der Tür steht. »Ich konnte es nicht lassen«, sagt er. »Ich wollte bloß
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