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Daisy Sisters

Titel: Daisy Sisters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Feldbett mit einer schmutzigen Matratze, ein Sofa mit einer Armstütze, die mit breiten Klebebändern zusammengehalten wird, ein Tisch, ein Papierkorb, und über allem leuchtet eine Deckenlampe mit kaputtem Schirm. In der Kochecke liegen ein paar faulige Apfelsinen, der Ausguss ist voller Asche und Zigarettenstummel. Die ganze Wohnung ist schlecht gereinigt, und als sie die Matratze wendet in der Hoffnung, dass sie auf der Unterseite weniger fleckig ist, fällt eine Pornozeitung auf den Fußboden. Statt zu lüften und ihren Koffer auszupacken, sinkt sie auf dem Sofa nieder und beginnt, darin zu blättern. So eine Zeitung hat sie noch nie in der Hand gehabt.
    Diese hier heißt Raff , und sie zuckt zurück, als sie unter dem Schwarzweißfoto einer Negerin mit großen Brüsten sieht, dass die Zeitung bei Sjuhäradsbygdens in Borås gedrucktworden ist. Dass man solche Zeitungen hier in dieser Stadt herstellt! Sie blättert nervös und schaut auf die Bilder, liest ein paar Worte hier und da. Die Bilder ähneln sich, die Frauen haben immer sehr wenig an, lehnen sich gegen Treppengeländer, liegen halb auf Sofas. Und alle lächeln, als ob sie ihr direkt ins Gesicht sähen.
    Zwei Seiten kleben zusammen. Als sie versucht, sie auseinanderzuknibbeln, erkennt sie plötzlich, was da klebt, und sie wirft die Zeitung in den Papierkorb, geht zum Fenster und schaut hinaus. Sie sieht Reihen von erleuchteten Fenstern in den umliegenden Hochhäusern. Ein Thermometer draußen vor dem Fenster zeigt minus siebzehn Grad.
    Sie schaudert und erkennt, dass sie zum ersten Mal in ihrem Leben wirklich allein ist.
    Sie hat die Wahl, zu weinen oder den Koffer auszupacken. Also zwingt sie sich, vorsichtig das kaputte Schloss des Koffers zu öffnen. Als sie das Bett gemacht und ihre Kleider aufgehängt hat, geht sie ins Badezimmer und betrachtet sich im Spiegel. So sieht sie also aus, nun, da sie achtzehn ist, bald neunzehn, soeben angekommen in der Textilmetropole Borås: schwarzes naturgelocktes Haar, das sie bis auf die Schultern hat wachsen lassen, Seitenscheitel, reichlich Spray, über den Ohren toupiert. Helles Make-up, hart umrandete Augen, gezupfte Augenbrauen. Schockrosa Lippenstift mit betonter Mundlinie.
    So sieht sie also aus, und sie fragt sich ängstlich, ob sie in diese Stadt und in diese Welt passt. Sieht sie so aus, wie man es von ihr erwartet? Dass sie nicht schön ist, weiß sie, aber sie glaubt, dass sie durchaus sexy wirkt, wenn sie lächelt und die Zähne zeigt. Und es ist schließlich nicht nur das Gesicht, was zählt. Gott sei Dank hat sie üppige Brüste; wenn sie die in dem richtigen BH unter einem knapp sitzenden Pullover vorreckt, so kann niemand etwas daran aussetzen. Die Tailleist zufriedenstellend, der Ansatz zu einem Birnenpo ist wohl nicht so schlimm. Zur Kontrolle klettert sie auf den Klodeckel, kniet sich hin und dreht sich, sodass sie sich von hinten im Badezimmerspiegel sehen kann. Sie trägt ganz eng sitzende Hosen mit so engem Schritt, dass es fast wehtut. Alles in allem nicht schlecht: Eivor Maria.
    Nachdem sie sich hingelegt und die Deckenlampe gelöscht hat, entdeckt sie, wie viele Geräusche die Nacht hat. Es knackt in den Wasserrohren, Schritte hallen im Treppenhaus wider, von der anderen Seite der Wand, an der das Bett steht, hört sie einen Säugling schreien. Sie fragt sich, warum niemand kommt und das Kind aufnimmt, als das Weinen abrupt aufhört. Ehe sie in einen unruhigen Halbschlaf sinkt, denkt sie, dass der Unterschied zwischen ihr und dem schreienden Kind eigentlich nicht so groß ist.
    Um vier Uhr steht sie wieder auf, kleidet sich an und trinkt ein Glas Wasser, das als Frühstück ausreichen muss. Dann verbringt sie über eine halbe Stunde in dem engen Badezimmer und schminkt sich für den ersten Arbeitstag. Das braucht seine Zeit, das soll seine Zeit brauchen. Ohne Gesicht und Haar ist sie vollständig schutzlos, davor fürchtet sie sich regelrecht. Um Viertel nach fünf geht sie raus, es sind minus einundzwanzig Grad. An der Bushaltestelle ist sie zuerst alleine, dann tauchen knirschende Schatten aus der Dunkelheit auf. Männer und Frauen, junge und alte, fast alle mit einer kleinen Tasche in der Hand. Niemand sagt etwas, jeder stampft und wehrt sich gegen die Kälte. Niemand nimmt Notiz von Eivor. Sie friert schrecklich an den Ohren, aber sie hat keine Mütze, die nicht sofort die mühevoll toupierte Frisur zerstören würde …
    Ein kleiner magerer Kerl steht am Fabriktor und erwartet sie. Er

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