Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
wenn irgendjemand mir angeboten hätte, hier in diesem Haus zu leben, ich hätte meine wenigen Habseligkeiten aus der Kutsche genommen, wäre geblieben und hätte dort gelebt und gelernt, ein glücklicher Mensch zu werden. Aber das war nicht meine Bestimmung.
Sie alle beglückwünschten mich zu meiner Vermählung und gaben ihrem Bedauern Ausdruck darüber, dass ich ohne meinen frisch angetrauten Ehemann diese Reise antrat. Jedem einzelnen drückte ich die Hand und ließ mich kurz von ihnen umarmen. Nicht, dass es mir um die Hochzeitsglückwünsche gegangen wäre. Nein, diese Illusion war geplatzt. Aber ich genoss für einen Moment die Sorglosigkeit, die Freundlichkeit und Herzlichkeit dieser Menschen.
Da wir nicht viel Zeit hatten bis zum Aufbruch, kamen zwei Dienstmädchen kurzerhand mit Erfrischungen aus dem Haus und reichten sie herum. Nach dem ganzen Champagner, den ich getrunken hatte, war die selbstgemachte Zitronenlimonade köstlich und erfrischend. Die jungen Frauen und Mädchen neckten sich aufgrund meiner Vermählung untereinander, wer wohl von ihnen als erste den Gang vor den Traualtar gehen würde. Instinktiv spürte ich, dass hier keines der Mädchen als Ware gehandelt werden würde. Diese bezaubernden Wesen durften leben, durften selbst mitbestimmen, durften lachen und fröhlich sein. Oh, wie ich sie beneidete. Wie gerne hätte ich getauscht. Unbesehen. Ohne zu wissen, was sich hinter den Mauern dieses Hauses abspielte. Aber ich ließ mir nichts anmerken. Ich genoss diesen Moment, der viel zu kurz war.
Ich schaute hinüber zur Haustür, aus der gerade meine Reisebegleitung trat. Es war wirklich eine ältere Dame. Sie hatte das siebte Jahrzehnt schon vor einiger Zeit überschritten und ihre Haare waren schlohweiß. Ihr Gang war nicht mehr so ganz flott, aber schon von weitem konnte ich in ihre Augen sehen. Blau waren sie, blau wie der Himmel an einem wunderschönen Sommertag und in ihnen sah ich das Lächeln, das immer auch ihre Mundwinkel umspielte. Kurz, wie in einer Vision, sah ich das Gesicht meiner Mutter vor mir, wenn sie eines fernen Tages ihre jugendliche Schönheit eingebüßt hatte. Aber so schnell wie diese Vision kam, so verflog sie auch wieder. Die alte Dame war, wie sich herausstellte, die heißgeliebte Großmutter all der jungen Schönheiten um mich herum. Als sie sich unserer kleinen Menschenansammlung näherte, ging ich ihr ein paar Schritte entgegen. Wenn sie doch nur halb so lieb wäre wie ihre Enkeltöchter. Und was soll ich Euch sagen? Sie war es. Ich konnte es kaum glauben und ich konnte es bis zum Schluss unserer gemeinsamen Reise nicht fassen, dass es einen solch wunderbaren Menschen gab. Wir standen voreinander und sofort ergriff sie meine Hände, schaute mir ins Gesicht und sprach:
„Wir beide also werden gemeinsam in ein uns fremdes Land fahren. Da freue ich mich aber, dass ich diese weite Reise nicht alleine unternehmen muss. Denn Du musst wissen, es ist das erste und wohl auch das letzte Mal, dass ich meine älteste Schwester besuche. Irgendwo in Frankreich. Frag mich bitte nicht, ich habe schon wieder vergessen, wie dieser Ort heißt. Ich schreibe ihr regelmäßig, aber die Umschläge beschriften meine lieben Enkelkinder hier.“ Dabei kniff sie sanft der ihr am nächsten Stehenden in die Wange. Dann lachte sie laut auf und leicht errötend sagte sie:
„Jetzt sage ich einfach Du. Wie unfein von mir.“
Schnell wehrte ich ab und versicherte ihr, dass es für mich in Ordnung sei und wie entzückt ich darüber bin. Dann erst stellten wir uns einander vor. Ihr Name war Sophia Dunkante. Eingedeutscht, wie sie mir augenzwinkernd verriet. Grundsätzlich würde sie zwar belgischen Wurzeln entstammen, aber ihre Familie und auch die Familie ihres Mannes, der vor einigen Jahren das Zeitliche gesegnet hatte, lebten schon seit mehr als 150 Jahren in Saarlouis und der näheren Umgebung. Und so war aus einem belgischen Namen im Laufe der Jahre Dunkante geworden. Sie lächelte bei ihren Worten. Als ich ihr meinen Namen nannte, schaute sie mich mit zur Seite geneigtem Haupt an.
„Nein, so möchte ich Dich nicht nennen.“
Völlig verdutzt musste ich sie angesehen haben. Sie lachte leise auf und sagte: „Ich finde den Namen viel zu streng für Dich. Ich werde Dich, wenn es Dir recht ist, einfach Chèrie nennen.“
Und wie recht es mir war. Noch nie war ich mit einem Kosenamen bedacht worden. Überschwenglich umarmte ich diese mir bis dahin völlig fremde Person. Und doch so
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