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Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)

Titel: Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Samarkand
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musste nachsehen, wer da vor sich hin wimmerte. Jetzt. So schnell es mir mit meinen eiskalten Füßen möglich war, stolperte ich an der Tür vorbei und brachte mich an der äußeren Ecke der Rückfront in Sicherheit. Jetzt hörte ich das Wimmern stärker. Ich nahm meinen ganzen mir noch verbliebenen Mut zusammen und ging das kurze Stück über den Hof, um diesen Verschlag zu betreten. Es gab keine Tür und zum Hof hin war er offen. Ich konnte erkennen, dass notdürftig drei Holzwände mit einem Dach zusammengezimmert worden waren. Einen Boden gab es nicht, es war einfach nur festgetretene Erde. Hier waren keine Pferde untergestellt, hier wurde nichts gelagert. Hier war nichts, nichts außer diesem Wimmern, was ich aus der rechten äußersten Ecke vernehmen konnte. Nur drei, vier kleine Schritte und mein rechter Fuß stieß an einen anderen Fuß. Das Wimmern verstummte. Ich ging noch zwei Schritte vorwärts und ließ mich dann auf die Erde hinab. Ich weiß nicht, warum ich das tat, wusste ich doch nicht, wer da lag. Ich streckte meine rechte kalte Hand aus, um die Hand dieser anderen Person zu greifen. Diese andere Hand war klein, schlaff und noch kälter als meine eigene. Ich sprach die Person an, ich sagte: „Mein Name ist Sophia, kann ich Ihnen helfen?“ Etwas anderes ist mir in diesem Moment nicht eingefallen. Kaum hatte ich diese Worte ausgesprochen, verstummte das Wimmern dieser armen Menschenseele abrupt. Eine krächzende Stimme fragte mich in der Dunkelheit: „Sophia? Sophia, bist Du es wirklich?“ Ma chère, glaube mir, diese krächzende Stimme hatte nichts wirklich Menschliches mehr an sich und trotzdem, da war etwas. Da war etwas, was mir bekannt vorkam. Diese Stimme kannte ich, diese Stimme hatte ich gesucht. „Cecile, bist Du es?“
    Maman schaute mich eindringlich an und fuhr mit rauer Stimme fort. „Um es kurz zu machen, chèrie, ja, es war meine kleine Schwester Cecile. Ich weiß bis heute nicht genau, wer ihr was angetan hat, aber sie war ein gebrochenes vierzehnjähriges Mädchen. Sie war zu dem Zeitpunkt, als ich sie fand, kaum noch in der Lage, viel zu sprechen. Ich nahm meine kleine Cecile in die Arme, um ihr meine verbliebene Körperwärme zu geben. Sie war kalt wie der Tod und beide wussten wir, ohne dass auch nur eine von uns es ausgesprochen hat, dass ihr baldiges Ende nahe war. Ich wiegte sie in meinen Armen, sie bestand nur noch aus Haut und Knochen. Ich küsste ihre Hände, ihr geschundenes kleines Gesicht und streichelte ihr Haar. Sehen konnte ich sie in der Dunkelheit nicht und sie mich nicht. Vielleicht eine Gnade Gottes in diesem furchtbaren Augenblick. Sie erzählte mir mit brüchiger Stimme, dass der gutaussehende Reiter am Tag ihres Geburtstages mit ihr ein wenig außerhalb von Saarlouis geritten sei. Sie hätten haltgemacht vor einer wunderschönen Villa, von der Charles, so nannte er sich, behauptete, es sei sein eigen. Cecile konnte mir den Weg dorthin nicht mehr beschreiben und sie bat mich, nicht nach dieser Villa zu suchen, da es zu gefährlich sei. Mir sollte nicht das Gleiche zustoßen wie ihr. Oh ma chère, sie hat sich in ihrer letzten Nacht auf Erden selbst verflucht für ihren Starrsinn, ihre Eitelkeit und ihre Gutgläubigkeit. Ich konnte meine kleine Schwester in dieser Nacht nicht mehr sehen und doch war mir, als ob ich eine alte Frau in den Armen hielte. Sie erzählte mir in kurzen abgehackten Sätzen, was an ihrem Geburtstag im Oktober passiert war. Gerade im Inneren des Hauses angekommen, hat Charles sie das erste Mal vergewaltigt, dann wieder und wieder. Sie sei wie von Sinnen gewesen vor Angst und Schmerz. Er hätte sie alleine in einem Zimmer im Erdgeschoss gelassen und mit letzter Kraft hätte sie sich ihre zerrissenen Kleider wieder angezogen. Sie wollte weg. Wusste nicht wohin, sie wollte nur weg von diesem Ort.“
    Maman Sofie und mir liefen weiter die Tränen die Wangen herunter. Ich nahm ihre kalten Hände in die meinen, um sie ein wenig zu wärmen. Sie sprach weiter.
    „ Aber Cecile kam nicht weit. Zwei weitere Männer erwischten sie, als sie gerade das Zimmer verlassen wollte. Und das Martyrium begann erneut.“
    Maman Sofie s eufzte.
    „ Diese Geschichte habe ich bisher nur ein einziges Mal erzählt. Damals, meinem Mann, aber da waren wir schon ein paar Jahre verheiratet. Ich hätte es ihm nicht erzählt, aber aus irgendeinem Grund hatte ich zu dieser Zeit fast jede Nacht schlimme Albträume und ich schrie immer nach Cecile. So habe ich es ihm

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