Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
da ein Krümelchen zu sich nahm, packte ich beherzt zu und aß bestimmt für zwei. Der Wirtin gefiel das wohl so gut, dass sie unsere Wegzehrung noch um einiges aufstockte, ohne dass wir zusätzlich etwas bezahlen mussten. Herzlich verabschiedeten wir uns von den Wirtsleuten und weiter ging es nach Loudéac.
Es war wie immer ein angenehmer Reisetag und wenn wir gerade nicht sprachen, bewunderten wir auch hier diese wunderbare Natur, die doch so ganz anders war als in Saarlouis.
Irgendwann schaute ich maman Sofie erstaunt an und fragte: „Und Du hast Deine Schwester hier nie besucht?“ „Nein. Ich habe nie die Zeit gehabt für so eine lange Reise. Da ging immer die Familie vor. Genauso war es bei meiner Schwester. Sie hat genauso wie ich fünf Kinder großgezogen.“
Maman Sofie musste schmunzeln, als sie sagte: „Ich bin sehr gespannt darauf, wie Leona aussieht. Früher war sie gertenschlank und konnte genauso viel essen wie Du. Bis sie dann ihr erstes Kind zur Welt brachte. In einem Brief, den sie mir vor bestimmt schon zehn Jahren zukommen ließ, verglich sie sich selbst mit einem Bierfass. Jetzt bin ich gespannt darauf, ob ich sie nach fast fünfzig Jahren überhaupt wiedererkennen werde.“
„ Was denkst Du? Würdest Du mich wohl nach fast fünfzig Jahren wiedererkennen?“
„ Ja“, antwortete sie sofort. Ganz erstaunt schaute ich sie an. „Dir müsste ich nur in die Augen schauen, dann wüsste ich, wen ich vor mir habe.“
Wie im Flug verging auch an diesem Tag die Zeit mit meinen Weggefährten und bevor ich es richtig begriff, fuhren wir schon bei dem Gasthof in der Nähe von Loudéac vor. Dieser Gasthof war ein wenig anders als all die anderen. Das Haus selbst war so klein, die Zimmer waren winzig und die Decken so niedrig, dass ich mich in einem Puppenhaus für Menschen wähnte. Automatisch zog ich meine Schultern nach vorne und ging ein wenig gebeugt, weil ich mich für dieses Haus zu groß fühlte. Wie musste es dann wohl den Männern erst ergehen, die mich alle mindestens um einen Kopf überragten? Die einzige Person, die sich nicht kleiner machen musste, selbst dann nicht, wenn sie durch einen Türstock hindurchging, war maman Sofie.
Wir waren im Nebengebäude untergebracht, das früher wohl mal als eine der vielen Scheunen auf dem Hof gedient hatte. Die Zimmer waren so urgemütlich und wie gesagt, sehr winzig. Dafür hatte jeder eigentlich vier kleine Räume für sich. In einem der Zimmer stand jeweils ein Himmelbett, das fast den ganzen Raum ausfüllte. Es gab dann noch ein kleines Zimmer, das mit einem sehr gemütlichen Sessel und einem Tisch ausgestattet war. Frische Blumen standen auf dem Tisch und die Aussicht aus dem Puppenfenster wirkte wie gemalt. Dann war da noch eine Art Abstellkammer, wo man sein Gepäck aufbewahren konnte, mit einem schönen großen Holzschrank. Im vierten kleinen Raum gab es eine kleine Waschgelegenheit, ausgestattet mit einem herrlichen Spiegel, eingefasst in einen Brokatrahmen und davor stand ein Waschtisch. An jede Kleinigkeit war hier gedacht worden. Ein kleines Stückchen Seife in Form einer Rose, die auch noch nach Rose duftete. Handtücher in verschiedenen Größen und alle waren sie mit einer gehäkelten Spitzenbordüre versehen. Ich war entzückt. Nach meiner ersten Inspektion lief ich sofort rüber in die Zimmer von maman Sofie. Ihre Räume sahen genauso aus wie die meinigen. Der einzige Unterschied war in den Farben zu sehen. Meine Räume waren in verschiedenen Gelbtönen gehalten, wohingegen die von maman Sofie einen leichten Rosaton hatten. Nachdem wir unserer Begeisterung Genüge getan hatten, wurden wir plötzlich ganz still. Wir wussten beide, dass es unser letzter gemeinsamer Abend sein würde. Am liebsten hätte ich geweint, aber irgendwie schaffte ich es, zu lächeln. Ich wollte, dass maman Sofie sich auf ihren Besuch bei ihrer Schwester freute und den Aufenthalt dort in vollen Zügen genoss. Und doch, ja und doch bekam ich mit einem Mal fürchterliche Angst. Angst davor, was mich erwartete. Angst davor, wie ich das vor mir liegende Leben alleine meistern sollte. Ohne maman Sofie an meiner Seite. Maman Sofie spürte sofort, was in mir vorging. Sie wusste immer, wie ich mich fühlte. Sie nahm mich in ihre Arme, drückte mich an sich, um mich dann auf Armeslänge von sich zu halten. Sie schaute mir tief in die Augen. „Ma chèrie, morgen wird es keinen Abschied für immer geben. Ich bleibe ja nicht nur ein paar Tage bei meiner Schwester.
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