Dalamay (Mein Leben ging einen anderen Weg)
wir alle ein wenig ruhiger und hingen unseren Gedanken nach. Maman Sofie und ich wussten, dass es auch für unsere männlichen Begleiter und Aufpasser eine Reise der anderen Art gewesen war. Auf eine sehr angenehme Art. Heinrich und auch Toby hatten mit maman Sofie darüber gesprochen. Ich glaube so im Nachhinein, dass wir alle uns gegenseitig ins Herz geschlossen hatten. Wenn ich doch auch maman Sofie am meisten vermissen würde, so konnte ich mir kaum einen Tag vorstellen, an dem ich nicht Heinrich, Alfred und Toby sehen würde.
Heinrich schaute versonnen in die nur noch glimmende Glut im Kamin und auf einmal hob er abrupt den Kopf und schaute uns an. „Morgen ist der Tag, an dem wir in Carhaix-Plouguer ankommen und maman Sofie zu ihrer Schwester bringen.“
Heinrich sprach nicht weiter. „Ja und?“, fragte Toby . „Was haltet Ihr davon, vorausgesetzt maman Sofie ist damit einverstanden, wenn nicht dies unser letzter Abend ist, sondern wir den letzten Abend auf den morgigen Abend verschieben?“, fragte Heinrich. Er schaute uns gespannt an.
„Wir konnten für diese lange Reise ja keinen festen Zeitpunkt zusagen, wann wir ankommen werden. Und diese Reise verlief ohne Zwischenfälle. Kein Unfall, kein Achsenbruch, kein Unwetter. Ich kann mich kaum daran erinnern, jemals so eine Reise ohne Hindernisse unternommen zu haben. Und kurz vor Carhaix-Plouguer kenne ich noch einen kleinen Gasthof, wo wir übernachten könnten.“
Wir schauten Heinrich sprachlos an und er schaute jeden einzelnen eindringlich an und sagte dann: „Im Normalfall plane ich für eine solche Reise mindestens vier Tage mehr ein. Mindestens. Keiner von uns wurde krank, die Damen haben sich mehr als tapfer geschlagen. An dieser Stelle unser aller Kompliment. Mit Ihnen, maman Sofie und mit Ihnen, junge Frau, würden wir drei jede Reise, egal welches Ziel, antreten. Da sind Toby, Alfred und ich uns einig.“
J etzt traten mir doch die Tränen in die Augen und ich schluckte schwer. Und wieder konnte ich nicht anders; ich erhob mich von meinem Platz und umarmte diese drei Männer, die für mich viel mehr als nur für diese Reise Angestellte meines Vaters waren. Mir war es nie in den Sinn gekommen, und mit einem Blick zu maman stellte ich bei ihr den gleichen Gedankengang fest, dass uns diese drei Männer in ihre Herzen geschlossen hatten.
Als ich mich wieder auf meinen Platz setzte, konnte ich aus den Augenwinkeln sehen, dass sich Alfred die Augen abwischte. Und spätestens jetzt wurde mir klar, dass es Menschen mit einem Herzen gab, dass es Menschen gab, die gütig und lieb waren. Ich hätte alles gegeben, um mit diesen Menschen mein Leben verbringen zu dürfen. Aber ich wusste, dass dies ein unerfüllter Traum bleiben würde. Als wir uns alle wieder ein wenig beruhigt hatten, blieben unsere Blicke an maman Sofie hängen. Diese verstaute gerade ihr Spitzentüchlein und musste noch einmal schwer schlucken. Dann räusperte sie sich und blickte uns reihum mit ihren warmen Augen an. „Nie in meinem ganzen Leben wäre es mir im Traum eingefallen, dass ich eine Reise mit solch wunderbaren und ehrlichen Menschen unternehmen würde. Und ja, lasst uns morgen noch einmal zusammen einkehren und noch einen schönen und unvergesslichen Abend zusammen haben. Meine Schwester habe ich nach meiner Ankunft solange ich möchte. Euch nicht. Und um nichts in der Welt möchte ich mir noch einen Abend mit Euch allen entgehen lassen. Heinrich, lieber Heinrich, dem Himmel sei Dank, dass Dir diese wundervolle Idee noch früh genug eingefallen ist.“
Und so gab es noch einen Aufschub. Wenn auch nur einen kleinen, so doch einen Aufschub.
Wie gut schlief ich doch in dieser Nacht. War der Tag des Abschieds noch nicht gekommen. Und wenn wir uns am nächsten Tag adieu sagen würden, so wusste ich doch, ich würde maman Sofie wiedersehen. Und Heinrich und die beiden anderen würden noch eine gewisse Zeit in Pointe du Raz bleiben. Erfrischt wachte ich am nächsten Morgen auf und genoss diese wundervolle Aussicht. Wie schön hier alles war. In dem kleinen Raum, der zum Waschen diente, seifte ich mich mit der nach Rosen duftenden Seife ein und hoffte in diesem Moment von ganzem Herzen, dass ich ein Stückchen dieser Gemütlichkeit und, ja auch Schönheit, in meinem neuen Heim finden würde. Gründlich bürstete ich meine Haare und steckte sie nur locker mit zwei braunen Kämmen an den Seiten hoch. Seit dem vierten Tag unserer Reise trug ich mein Haar fast ganz offen.
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