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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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wie er darauf reagieren würde, dass ich Crisp’s aufgeben und stattdessen für unbestimmte Zeit auf Vergnügungsreise durch Europa gehen wollte, aber ich war mir ziemlich sicher, dass er es nicht gut aufnehmen würde.
    Ich nahm den Fahrstuhl in den siebten Stock und atmete tief durch, bevor ich ihn verließ. Als ich das Büro betrat, kam Mary mit ausgebreiteten Armen hinter ihrem Schreibtisch auf mich zu und drückte mich an sich. »Luke, es ist so schön, dich zu sehen.«
    »Es ist auch schön, dich zu sehen«, erwiderte ich und ließ mich umarmen.
    »Ich werde deinem Vater sagen, dass du hier bist. Er hat gerade eine Telefonkonferenz. Er freut sich so darauf, dich zu sehen. Wir alle freuen uns.«
    »Ich mich auch«, sagte ich und hatte den Eindruck, dass meine Worte unaufrichtig klangen. »Es ist schön, zu Hause zu sein.«
    Als Mary den Telefonhörer nahm, hörte ich hinter mir eine laute Stimme. »Was ist denn mit der Security los? Die lassen wohl jeden dahergelaufenen Typen rein.« Ich drehte mich um und sah Henry grinsend ins Büro kommen. »Willkommen zurück, mein Junge.«
    Henry war Mitte vierzig, klein und athletisch gebaut. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hatte, verlor er gerade die Schlacht um seine Haare. Jetzt prunkte wie durch Zauberhand ein voller Haarschopf auf seinem Kopf.
    »Schöne Locken«, meinte ich.
    »Mein neues Toupet«, sagte Henry und neigte den Kopf ein wenig, um sein Haarteil zu präsentieren. »Ich kann sogar damit schwimmen.«
    »Jetzt musst du dir die Frauen mit Gewalt vom Leib halten.«
    »So war’s gedacht«, bestätigte Henry und streckte mir die Hand entgegen. »Glückwunsch zu deinem Abschluss. Der erste MBA in der Familie.«
    »Ja. Aber ich glaube, dass sie auch ziemlich gut ohne einen klargekommen ist.«
    »Meistens«, entgegnete Henry. Ich hatte keine Ahnung, was er damit meinte, aber ich ließ es dabei bewenden.
    »Luke.«
    Ich drehte mich um und sah meinen Vater in der Tür zu seinem Büro stehen. Ich war erstaunt, wie anders er auf mich wirkte – wie viel älter. Es war inzwischen mehr Zeit verstrichen, als ich bemerkt hatte. Er kam langsam durch den Raum auf mich zu. Wir umarmten uns. Nachdem wir uns losgelassen hatten, fragte ich: »Fühlst du dich gut?«
    »Mir geht es prächtig«, antwortete er. »Ich bin nur noch ein wenig angeschlagen vom Squashspiel heute Morgen. Los, komm rein, lass uns reden.«
    Ich folgte ihm in sein Büro, und er schloss die Tür hinter uns. Alles außer meinem Vater sah ganz genauso aus wie zum Zeitpunkt meiner Abreise. Ich setzte mich auf einen gepolsterten Ledersessel vor seinem Schreibtisch, und er kam zu mir und setzte sich vor mir auf die Kante seines Schreibtisches.
    »Ich bin so stolz auf dich, Luke. Unser erster MBA.«
    »Das ist keine große Sache«, wehrte ich ab.
    »Das ist eine sehr große Sache«, entgegnete er, und sein Blick war voller Stolz. »Ich habe mich so auf deine Rückkehr gefreut. Und ich bin bereit loszulegen.«
    Ich sah ihn an. »Loszulegen?«
    Ein breites Lächeln überzog sein Gesicht. »Mit der Übergabe. Ich bin bereit, dir das Unternehmen Schritt für Schritt zu übergeben.«
    Ich faltete die Hände im Schoß und wusste nicht recht, was ich sagen sollte. Als ich nichts sagte, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.
    »Du freust dich nicht darüber? Ich dachte, du würdest glücklich sein, wenn du …«
    »Ich bin noch nicht bereit dafür.«
    »Unsinn. Du bist seit Jahren dafür bereit. Du bist in diesen Läden groß geworden. Du kennst sie besser als jeder andere außer mir. – Und ich bin bereit, die Zügel zu übergeben.«
    »Dad …« Ich sah ihn einfach an. Seine Miene schlug in Besorgnis um. »Weißt du, ich will das nicht machen.«
    Mein Vater starrte mich verständnislos an. »Es muss ja nicht sofort passieren.«
    »Ich meine überhaupt .«
    Ein Schatten huschte über sein Gesicht. »Was meinst du damit?«
    »Ich will mich nicht an Crisp’s ketten.«
    Er blickte mich einen Moment lang schweigend an, bevor er sagte: »Ich verstehe nicht. Was willst du denn dann tun?«
    »Ich will leben. «
    »Ich verstehe noch immer nicht«, meinte er.
    »Ich will wirklich leben. Ich will das Leben erfahren. Ich habe gearbeitet, seit ich zwölf bin.«
    Er wirkte irritiert.
    »Habe ich dir von meinem Freund James erzählt?«, fragte ich.
    Mein Vater schüttelte den Kopf. »Dein Mitbewohner?«
    »Nein, James war ein anderer Freund von mir. Er war sehr ernsthaft, arbeitete hart, war religiös. Er war der Drittbeste

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