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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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unserer Abschlussklasse.«
    Mein Vater starrte mich an und fragte sich zweifellos, was James mit unserem Gespräch zu tun hatte. »Nein. Du hast mir nie von ihm erzählt.«
    »Am Abend nach unserem Abschluss wurde er von einem betrunkenen Autofahrer getötet.«
    »Das tut mir leid.«
    »All die Arbeit und die Aufopferung sind umsonst gewesen«, erklärte ich. »Er hat sein Leben vergeudet.«
    »Ich würde das nicht als vergeudetes Leben bezeichnen.«
    »Als was würdest du es dann bezeichnen?«
    »Als alles andere als vergeudet. Wenn jemand ein anständiges Leben führt, trägt er etwas zu der gesamten menschlichen Familie bei – so kurz dieses Leben auch sein mag.«
    »Du bist ein Idealist, Dad. Aber insgesamt betrachtet hätte er sein Leben besser genießen sollen, statt stundenlang für nichts und wieder nichts in der Bibliothek zu hocken und über seinen Büchern zu brüten.« Ich schüttelte langsam den Kopf. »Ich habe immer geglaubt, dass man sein Leben so führen sollte. Aber das tue ich nicht mehr. Das Leben ist dafür da, gelebt und nicht mit Schinderei verbracht zu werden. Ich bin nicht ein solcher Dummkopf.«
    »Du meinst so ein Dummkopf wie ich.«
    »Du drehst mir die Worte im Mund herum«, widersprach ich. »Du bist nicht der Hampelmann von jemandem. Du hast dein Leben so gelebt, wie es für dich gepasst hat. Ich will es genauso machen.«
    Mein Vater antwortete nichts darauf.
    »Als du darauf bestanden hast, dass ich Arizona verlasse, hast du als Grund genannt, du wolltest nicht, dass ich etwas bereue. Du wolltest, dass ich die größeren Zusammenhänge sehe. Damals wollte ich nicht gehen, aber du hattest recht. Ich habe die größeren Zusammenhänge gesehen. Und die Welt in ihrer Ganzheit ist erheblich größer als das größte Unternehmen. Ist es nicht das, was du versucht hast, mir beizubringen? Zu fliegen? Ein Leben ohne Reue zu leben?«
    Mein Vater sah mich weiter schweigend an, bevor er mich fragte: »Und was soll ich mit dem Unternehmen machen?«
    »Verkauf es. Kassiere den Lohn für all deine harte Arbeit. Du könntest endlich frei von Crisp’s sein und dein Leben genießen.«
    »Du redest, als wäre Crisp’s eine Gefängnisstrafe.«
    »Ist es das nicht?«
    Nach einem Augenblick antwortete er: »Nein. Und ich habe nie in Erwägung gezogen, es zu verkaufen. Dies war stets ein Familienunternehmen. Für dich und vielleicht eines Tages für deine Kinder.«
    »Was, wenn ich es nicht will?«
    Er wiegte den Kopf. »Ich könnte es nie einfach verlassen. Crisp’s ist eine Familie. Manche meiner Mitarbeiter haben ihr gesamtes Arbeitsleben bei mir verbracht. Ich kann sie nicht einfach jemand anderem übergeben. Ich muss sicherstellen, dass für sie gesorgt wird.«
    »Das ist ein Teil des Problems, Dad. Crisp’s ist keine Familie. Und es ist keine Wohltätigkeitsorganisation. Es ist ein Unternehmen. Wenn ich etwas in meinem MBA-Studium gelernt habe, dann das. Wenn du diese Grenzen vergisst, werden dich die Leute jeden wachen Moment mit Beschlag belegen. Sie werden dich aussaugen.
    Einer meiner Professoren war früher Chef eines großen Kosmetikunternehmens. Er erzählte uns, er habe bemerkt, dass es Zeit sei zu gehen, als er mehr Zeit damit verbrachte, sich um die Probleme seiner Mitarbeiter zu kümmern als um die der laufenden Geschäfte. Crisp’s zu verkaufen wird das Beste sein, was du je getan hast. Du wirst sehen, dass es da draußen noch eine Welt gibt – du hast verdient, sie zu genießen, bevor es zu spät ist.«
    »Lasst uns essen, trinken und fröhlich sein, denn morgen könnten wir sterben«, sagte mein Vater leise.
    »Nicht könnten , Dad, sondern werden . Wie James. Wie Mom.«
    Meine Worte trafen meinen Vater. Er blickte eine Minute lang zu Boden, bevor er fragte: »Was hast du vor?«
    »Erst einmal gehe ich mit meinen Freunden auf große Reise.«
    »Für wie lange?«
    »Das weiß ich nicht. Bis ich genug davon habe.«
    »Wie willst du das finanzieren?«
    »Ich habe meinen Treuhandfonds.«
    »Und was, wenn das Geld aufgebraucht ist?«
    »Es sind eine Million Dollar. Die werden nicht aufgebraucht.«
    »Geld ist irgendwann immer aufgebraucht. Eine Million Dollar reichen nicht so lange, wie du glaubst.«
    »Es wird lange genug reichen«, meinte ich.
    Er starrte auf seinen Schreibtisch. »Ich kann dich nicht daran hindern, darauf zuzugreifen, aber ich bin dagegen.«
    »Tut mir leid, Dad, aber ich muss das tun.«
    Er wirkte fassungslos. »Ich habe mein Leben damit zugebracht, etwas zu

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