Damals im Dezember
an.
»Rachael.«
»Was ist?«, fauchte sie, ohne mich anzusehen.
»Hör mal, es tut mir leid, was ich vorgestern zu dir gesagt habe … Das mit dem Wildschwein. Das war gemein. Können wir das nicht einfach vergessen und nach vorn schauen?«
Sie drehte sich um. »Du hast leicht reden«, erwiderte sie. »Chris hat gestern den ganzen Tag ununterbrochen von dir geredet. Eine solche Komplikation kann er in seinem Leben nicht gebrauchen.«
»Komplikation?«
»Ja, Komplikation.«
»Wenn er den ganzen Tag von mir geredet hat, hat er vielleicht genau das gebraucht.«
»Du hast keine Ahnung, was mein Sohn braucht.«
»Da hast du recht. Ich habe keine Ahnung. Es ist wirklich schlimm, dass er so viel Spaß hatte und dann den ganzen Tag von nichts anderem mehr reden wollte. Was für eine schreckliche Sache.«
Sie kniff die Augen zusammen. »Hältst du das für einen Witz?«
»Nein. Aber die Art, wie du damit umgehst, halte ich für einen Witz. Glaubst du, dass du der einzige Mensch mit Problemen bist? Glaubst du, dass du die Einzige bist, die je betrogen wurde?«
Sie empörte sich über das Wort. »Ich habe nichts darüber gesagt, dass ich betrogen worden bin.«
»Das brauchst du auch nicht. Warum sonst solltest du wohl einen so dicken Panzer tragen?«
Sie stand da und starrte mich sprachlos an. Schließlich meinte sie: »Ich habe dir nichts zu sagen. Und jetzt lass mich bitte raus.«
Ich trat zur Seite. »Gewiss.«
»Oh, und Glückwunsch zu deiner Beförderung.« Sie drängte sich an mir vorbei und ging wieder nach draußen zur vorderen Theke.
Ich folgte ihr. »Geht es vielleicht darum?«
»Nein. Ich konnte dich schon nicht leiden, bevor du mir die Stelle gestohlen hast.«
»Gestohlen? Du bist selbst schuld, dass du sie nicht bekommen hast.«
»Was soll das denn heißen?«
»Das heißt, dass du die Stelle nicht verdient hast. Weißt du, was? Du sorgst dafür, dass sich die Leute mies fühlen. Was auch immer die Welt dir angetan haben mag, du gibst es ihr zweifellos mit vollen Händen zurück.«
»So viel könnte ich nie zurückgeben.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen, und zum ersten Mal sah ich, wie tief sie verletzt worden war. Ich bereute, was ich gesagt hatte. Sie blickte nach unten und bedeckte die Augen mit ihrer Hand. »Bitte, lass mich einfach in Ruhe.«
Ich starrte sie an und hätte am liebsten etwas gesagt, mich entschuldigt, aber ich wusste, dass sie das nicht wollte. Also entfernte ich mich von ihr. Während unserer restlichen Schicht sah sie nicht mehr zu mir hin, und bei Schichtende verschwand sie eilig.
Neununddreißigstes Kapitel
Manchmal lässt nicht Stärke, sondern Sanftheit die härtesten Panzer zerbrechen.
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Meine Arbeit im Golden Age veränderte sich ebenfalls. Wir hatten im November mehrere Bewohner verloren, und ich half Carlos, die leeren Betten schnell wieder zu belegen. Die Einrichtung hatte zum ersten Mal eine Warteliste für Interessenten. Carlos spürte wohl, dass ich nicht in der Lage sein würde, beide Tätigkeiten auf Dauer auszuüben, und so veränderte er unser Arbeitsverhältnis, um mich nicht zu verlieren. Am Tag nach meiner Beförderung bei Crisp’s führte er mich in sein Büro.
»Was gibt’s?«
»Wie findest du es, die Bewohner mit Essen zu versorgen?«
Ich zuckte mit den Schultern. »Es ist nicht unbedingt die Laufbahn, die ich mir erträumt habe, aber bei dem Gehalt, das du mir bezahlst, ist es schwer, es aufzugeben.«
Er lächelte. »Nun, ich habe ein besseres Angebot für dich. Ich bezahle dir dasselbe monatliche Gehalt, das du jetzt bekommst, wenn du zwei Nachmittage die Woche als mein Marketingleiter fungierst. Du brauchst Sylvia nur noch bis zum 23. zu helfen. Danach fangen hier ein paar neue Leute an.«
»Ich bekomme auch weiterhin was zu essen?«
»Mahlzeiten, eine Wohnung, Wäsche, alles. Verdammt, wenn du willst, kannst du auch weiter die Kittel tragen.«
»Du verhandelst hammerhart, mein Freund, aber ich bin einverstanden.«
***
Der 23. Dezember war Sumans letzter Tag bei Crisp’s. Gegen Mittag veranstalteten wir eine kleine Abschiedsparty, um sein neues Abenteuer zu feiern. Wayne hatte Eis und eine gefüllte Schokoladentorte in einem Lebensmittelgeschäft weiter unten in der Straße gekauft. Er hatte die Torte in dem Geschäft nicht überprüft, daher bemerkte er erst, als er die Tortenschachtel bei Crisp’s öffnete, dass sie Sumans Namen falsch geschrieben hatten. Auf der Torte stand:
Bon Voyage, Shoe
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