Damals im Dezember
beschwert, dass sie unfreundlich und distanziert war.
Ich verstand die Klagen. Rachael war mir ein Rätsel. Eigentlich war sie allen ein Rätsel, den Kunden von Crisp’s ebenso wie den Mitarbeitern. Sie war stets schweigsam und schwermütig, als quälte sie ein geheimer Kummer. Sie war zurückhaltend wie Candace, aber das war auch schon alles, worin sie sich ähnelten. Während Candace von brutaler Ehrlichkeit war, schien Rachael alles zu verbergen und ihre Gefühle hinter einem dichten Schleier der Zurückgezogenheit zu verstecken. Während Candace sich hübsch anzog oder schminkte, um ihre Schönheit zu betonen, tat Rachael genau das Gegenteil. Sie war ohne eigenes Zutun schön und verhielt sich so, als betrachte sie ihre Attraktivität eher als Fluch denn als Segen, da sie täglich von Crisp’s Kunden angebaggert wurde. Normalerweise ignorierte sie deren Annäherungsversuche einfach, aber manchmal teilte sich der Schleier, und ihr Zorn wurde sichtbar. Suman erzählte mir, dass der Shop auf diese Weise schon mehr als einen Kunden verloren hatte.
Je länger ich mit ihr zusammenarbeitete, desto faszinierender fand ich sie. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Menschen mit der härtesten Schale oft den weichsten Kern haben, und ich spürte, dass sie hinter all ihrer Panzerung eine große Verletzlichkeit verbarg.
Ich hatte wirklich keinerlei Ahnung, was sie von mir hielt. Unsere Arbeitsbeziehung war höflich, aber steif wie ein gestärkter Kragen. Einmal erwischte ich sie dabei, wie sie zu mir herübersah. Ich wusste, dass sie mich schon seit einer ganzen Weile angesehen hatte, aber als ich mich zu ihr umdrehte, wandte sie sich rasch von mir ab. Ich wurde einfach nicht klug aus ihr.
Eines Nachmittags beschloss ich, während meiner Pause zum In-N-Out Burger zu gehen, um mir dort einen Milchshake zu holen. Auf dem Weg nach draußen kam ich an Rachael vorbei. »Ich bin ein paar Minuten weg«, erklärte ich. »Ich hole mir einen Shake.«
»Gut«, sagte sie.
»Willst du mitkommen? Es ist ruhig. Colby kann auf den vorderen Bereich mit aufpassen.«
Sie sah mich einen Moment lang an und meinte dann: »Nein, danke.«
»Wir sind nur ein paar Minuten lang fort.«
»Nein, danke«, wiederholte sie.
Da dies die längste nicht auf die Arbeit bezogene Unterhaltung war, die ich bisher mit ihr geführt hatte, beschloss ich, mich weiter in das unbekannte Gebiet vorzuwagen. »Liegt es daran, dass du keine Shakes magst, oder magst du mich nicht? Denn wenn es um die Shakes geht, kannst du dir etwas anderes bestellen.«
»Ich pflege keine Kontakte zu Kollegen«, erwiderte sie knapp.
»Ich pflege den ganzen Tag Kontakte zu dir«, entgegnete ich.
»Du weißt, was ich meine.«
Ich sah sie kurz an und fragte sie dann: »Nur damit ich es richtig verstehe: Wenn ich kündigen würde, würdest du dann einen Shake mit mir trinken?«
»Nur wegen mir würdest du das nicht tun wollen«, meinte sie, drehte sich um und ging weg.
Siebenunddreißigstes Kapitel
Ich bin einsam. Ich bin einsam. Ich bin einsam. Ich bin einsam. Ich bin einsam.
Wie passend, dass ich dies an niemanden schreibe.
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Meine beiden Jobs waren für mich zur Routine geworden. Ich stand um sechs Uhr morgens auf, machte Sport, aß eine Scheibe Toast, duschte, zog mich an und ging zu Crisp’s. Samstagmorgens schlief ich bis neun oder zehn und machte dann Besorgungen oder las. Merkwürdigerweise waren meine Wochenenden zurzeit meiner Obdachlosigkeit nicht völlig anders gewesen. Jetzt waren sie erheblich bequemer, aber genauso einsam. Mein Vater und ich waren jeden Samstag zum Golfspielen gegangen. Ich wünschte, ihn jetzt bei mir zu haben, um mit ihm Golf spielen zu können.
Eines Samstagabends, ich erledigte gerade meine Einkäufe im Food King, sah ich Rachael im Gang mit den Frühstückswaren. Ein vielleicht sechs- oder siebenjähriger Junge hing heulend an dem Einkaufswagen neben ihr.
»Warum können wir nicht Cap’n Crunch kaufen?«
»Weil die Flocken in der Tüte billiger sind«, erklärte Rachael. »Sie sind ganz genauso.«
»Nein, sind sie nicht. Und bei denen ist auch kein Spielzeug drin.«
»Das Spielzeug ist dumm. Es landet doch sowieso im Müll.«
»Nein, tut es nicht. Ich spiele damit.«
»Ich habe Nein gesagt.«
Ich ging den Gang hoch. »Hallo.«
Es war nicht zu erkennen, ob sie eher überrascht oder eher peinlich berührt war, mich zu sehen. Sie trug eine Baseballmütze und eine Jogginghose.
»Kaufst du immer
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