Damals im Dezember
blickte, sah ich das verletzliche kleine Mädchen in ihr. »Ich bitte dich nur um eins. Bitte sei ehrlich zu mir. Und wenn du mich nicht willst, dann sag es mir einfach. Okay?«
»Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Es geht nicht nur um mich. Ich glaube, dass sich Chris ebenfalls in dich verliebt hat. Es ist eine Sache, für deine eigenen Gefühle Risiken einzugehen, aber es ist eine ganz andere, das für die deines Sohnes zu tun.«
»Du bist eine gute Mutter.«
»Manchmal zweifele ich daran.«
»Alle guten Eltern zweifeln. Das ist es, was sie zu guten Eltern macht.«
Wir schwiegen erneut. Nach ein paar Minuten fragte Rachael: »Erinnerst du dich noch daran, wie deine Mutter war?«
Ich nickte. »Sie war gut. Wenn ich an sie denke, habe ich eine Mom aus einer Sitcom aus den Fünfzigern vor Augen. Sie war stets fröhlich und erwartete mich mit einem Teller voller Kekse, wenn ich aus der Schule nach Hause kam.«
»Was für ein Mensch ist dein Vater?«
»Ebenfalls ein guter. Er hat ein gutes Herz. Manche Menschen spalten ihr Leben in ein privates und ein berufliches auf. Mein Vater nicht. Im Büro war er derselbe Mensch, der er auch zu Hause war. Ich glaube, dass ihm das Wohl seiner Mitarbeiter genauso am Herzen lag wie sein eigenes.«
»Du hast ihn bewundert?«
»Ich bewundere ihn noch immer.«
»Aber warum sprecht ihr dann nicht miteinander?
»Das ist allein meine Schuld. Ich habe ihn verletzt. Ich habe seine Wünsche ignoriert, sein Geld verschwendet und ihn verlassen, als er mich am meisten gebraucht hat.« Ich sah ihr in die Augen. »Er hat gesagt, dass ich für ihn gestorben bin.«
Nach einer Weile meinte sie: »Dann haben wir etwas gemeinsam. Wir sind beide für unsere Eltern gestorben. Meine Eltern haben mit mir gebrochen, als ich Rex heiratete.«
»Warum mochten sie Rex nicht?«
»Er gehörte nicht unserer Kirche an.«
Ich dachte darüber nach und fragte: »Gibt es jetzt, nachdem er gestorben ist, irgendeine Chance auf Versöhnung?«
»Ich weiß nicht, ob ich das möchte«, seufzte sie traurig. »Wahrscheinlich ist es ohnehin zu spät dafür. Sie haben meine Hochzeit, Chris’ Geburt und Rex’ Beerdigung verpasst, und sie sind bestimmt davon überzeugt, dass Gott mich mit Rex’ Tod für meine Fehlentscheidungen bestraft hat.
Lange habe ich sie gehasst. Aber jetzt tun sie mir nur noch leid. In ihren Herzen wünschen sie die Mehrheit von Gottes Kindern zur Hölle und halten sich deswegen auch noch für gerecht.« Sie blickte mir in die Augen. »Sie haben ihr einziges Enkelkind noch nie gesehen. Kannst du so etwas fassen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Für mich ist das einfach nicht nachvollziehbar. Wenn ich der Meinung wäre, dass Chris auf dem Weg zur Hölle ist, würde ich ihn doch niemals im Stich lassen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass in Wahrheit ein mit Menschen wie ihnen bevölkerter Ort die Hölle wäre.« Sie seufzte. »Tut mir leid. Das ist ein viel zu bedrückendes Thema für den Weihnachtsabend. Worüber haben wir denn vor all dem gesprochen?«
»Du hattest gesagt, dass du Angst hast, dich in mich zu verlieben.«
»Davor.«
»Davor hast du darüber gesprochen, wie lieb ich bin.«
»Noch davor.«
Ich beugte mich zu ihr hin, und wir küssten uns.
Vierundvierzigstes Kapitel
Wie schnell sich die Weihnachtsfantasie wieder verflüchtigt.
Aus dem Tagebuch von Luke Crisp
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, fühlte ich mich erschöpft. Ich war erst nach zwei Uhr morgens von Rachael nach Hause gekommen. Darum ließ ich meinen üblichen Frühsport aus. Auf dem Weg zur Arbeit hielt ich an, um Bagels zu kaufen. Vorher wollte ich Rachael anrufen, bemerkte aber, dass mein Handy verschwunden war. »Es muss mir auf Rachaels Couch aus der Tasche gerutscht sein«, dachte ich. Bei dem Gedanken lächelte ich. Ich freute mich schon darauf, sie zu sehen.
Ich kaufte ein halbes Dutzend Bagels und einen Becher Frischkäse mit Erdbeergeschmack und trug beides zum Copyshop. Zu meiner Überraschung stand Rachaels Auto nicht auf dem Parkplatz.
»Fröhliche Weihnachten«, sagte ich, als ich durch die Hintertür eintrat. »Hallo«, erwiderte Colby matt. Sein Blick war düster, seine Stirn gerunzelt.
»Hallo zurück. Was ist los? Ist dir der Eggnog ausgegangen? Dann iss einen Bagel.«
Er starrte mich nur traurig an. »Du weißt es noch nicht, oder?«
»Was denn?«
»Am besten sprichst du mit Wayne.«
Ich legte die Bagels auf den hinteren Tresen und ging in Waynes Büro. Zu meinem Erstaunen
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