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Damals im Dezember

Damals im Dezember

Titel: Damals im Dezember Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Paul Evans
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kniete er auf dem Boden und verstaute den Inhalt seines Schreibtischs in einem Pappkarton.
    »Was machst du da?«, fragte ich.
    Er sah zu mir hoch und meinte: »Glückwunsch, du bist befördert worden.«
    »Ich weiß. Wir haben das bereits gefeiert.«
    »Du bist noch einmal befördert worden. Du bist der neue Shop-Manager.«
    Ich blieb wie angewurzelt stehen. »Soll das ein Witz sein?«
    »Ich wünschte, es wäre so«, seufzte er. »Ich habe heute Morgen die Nachricht bekommen, dass sie mir gekündigt haben. Vermutlich wollten sie’s nicht vor Weihnachten machen, also haben sie bis zum Tag danach gewartet.«
    »Das ergibt doch keinen Sinn.«
    »Für jemanden in der Unternehmensleitung schon.«
    »Welche Gründe haben sie dir genannt?«
    »Der Umsatz ist zurückgegangen.«
    »Der Umsatz ist überall zurückgegangen. Die gesamte Wirtschaft ist zurückgegangen.«
    Er hielt im Packen inne und sah mich an. »Das ist lediglich die juristische Schutzbehauptung. Der wahre Grund für meine Entlassung ist, dass ich in achtzehn Monaten Rentenansprüche hätte. Mich zu feuern, spart dem Unternehmen eine Menge Geld ein.«
    »Das würden sie nie tun«, widersprach ich.
    »Carl Crisp nicht. Aber er leitet das Unternehmen ja nicht mehr. Es ist dieser neue Knabe, Price.« Er knallte die Schublade zu. »Übrigens haben sie auch Rachael entlassen.«
    »Rachael? Warum?«
    »Sie ist durch die Krankenversicherung eine Belastung«, erklärte er. »Die medizinische Behandlung ihres Sohnes kostet mehr als die Arztrechnungen von uns allen zusammen.«
    »Weiß sie es schon?«
    »Ich habe sie vor einer Stunde angerufen.«
    Während ich Wayne zusah, wie er seinen Karton packte, wurde mir plötzlich klar, was hier vorging. »Sie werfen Ballast ab«, sagte ich.
    »Was?«
    »Sie werfen Ballast ab. Crisp’s entledigt sich seiner Verbindlichkeiten. Sie bereiten sich darauf vor, ihre Aktien abzustoßen.« Ich schüttelte den Kopf. »Wayne, das ist meine Schuld.«
    Wayne lachte düster. »Luke, du magst ja deine Fehler haben, aber das hier ist selbst für dich eine Nummer zu groß.«
    »Ich wünschte, das würde stimmen«, widersprach ich. »Henry Price hat die Führung des Unternehmens übernommen, als sich Carl aus dem Berufsleben zurückzog. Eigentlich war er nicht dafür vorgesehen.«
    »Wer denn dann?«, fragte Wayne.
    »Ich.«
    Er stand auf und starrte mich erstaunt an. Ich konnte sehen, wie er allmählich begriff. »Du bist Carls Sohn.«
    Ich nickte. »Ich war sein Sohn.«
    »Was meinst du mit war? «
    Ich fuhr mir mit beiden Händen durch das Haar. »Mein Vater wollte, dass ich das Unternehmen übernehme. Statt das zu tun, habe ich mir meinen Treuhandfonds in Höhe von einer Million geschnappt, mich nach Europa verzogen und alles verprasst. Er hat mich verstoßen.«
    Wayne stand einen Moment lang schweigend da und meinte dann: »Der Carl, den ich kenne, würde seinen Sohn niemals verstoßen.«
    »Ich glaube, dass ich ihn ein wenig besser kenne als du.«
    »Zweifellos. Aber ich kenne ihn besser, als du glaubst. Und du könntest dich irren.« Er lehnte sich an seinen Schreibtisch. »Anfangs hat Crisp’s schnell auf neuen Märkten expandiert. Dieser Shop war der erste in Nevada. Einer der neuen Manager deines Vaters, ein ehemaliger Autohändler, erhielt die Chance, MGM als Kunden an Land zu ziehen. Der Etat hatte einen Umfang von über einer Million Dollar pro Jahr.
    Der Manager ging mit der großspurigen Haltung eines Autoverkäufers, der er ja auch war, in das Meeting. Er sprach gar nicht erst über MGM oder deren Bedürfnisse, er sprach nur über sich selbst. Es war kein Wunder, dass sie ihn quasi aus ihrem Büro rauswarfen und ihre Aufträge an jemand anderen vergaben.
    Das war eine große Niederlage für Crisp’s. Dein Vater flog her, um persönlich mit den Leuten von MGM und dann mit dem Manager und dem Personal des Copyshops zu sprechen. Der Manager war davon überzeugt, dass dein Vater gekommen war, um ihn zu feuern. Stattdessen aber nahm ihn dein Vater beiseite und fragte ihn, was geschehen sei. Der Manager gestand, dass er sich bei dem Treffen falsch verhalten hatte. Darauf fragte ihn dein Vater, was er aus dieser Erfahrung gelernt habe. Der Manager antwortete: ›Demut. Die Chance, einen Kunden unter Vertrag zu nehmen, ist eine besondere Ehre. Es ist weit wichtiger zuzuhören, als selbst zu reden.‹
    Dein Vater sagte: ›Gut. Machen Sie den Fehler nicht noch einmal.‹ Dann wandte er sich zum Gehen. Als er schon fast aus der Tür

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