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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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vorbei, stieß sie beinahe zur Seite, hörte nicht auf ihr Rufen, ignorierte sie total, als sie hinter ihm herlief, ihn am Ärmel zupfte, Dinge sagte wie: Wir haben uns doch mal gut verstanden, ich weiß nicht, was los ist, rede doch mit mir. Er riss sich los, schweigend, und ließ sie stehen. Zwei Verkäuferinnen sahen ihn erstaunt an, was ihn noch mehr in Verlegenheit brachte. Am selben Abend spürte er, dass es wieder so weit war. Zeit zu töten, dachte er bemüht sachlich, als ginge es um eine banale Pflicht.
    Der Junge ging nicht mehr in den Wald. Tiere hatten jeden Reiz für ihn verloren. Er hatte sich noch im Sommer sein altes, klappriges Fahrrad mit neuen Reifen (zufällig gab es gerade welche in Hülle und Fülle) und viel Öl wieder in Schwung gebracht. Seitdem radelte er nun bei jedem Wetter durch die nähere und weitere Umgebung, uneingestanden auf der Suche nach potenziellen Tatorten. Eine Woche nach der peinlichen Szene mit Bena fuhr er, warm eingepackt gegen die feuchte Novemberluft, einen schlammigen Waldweg entlang und hielt plötzlich an: Etwa fünfzig Meter vor ihm lief eine kleine Gestalt in einem überdimensionierten grauen Anorak. Aus der Entfernung sah sie aus wie ein Kind, ob Mädchen oder Junge konnte er nicht erkennen. Ein Kind war weniger gut als eine Frau, aber besser als nichts.
    Er hielt an, zog seine Mütze ins Gesicht und wickelte sich ein Tuch um Mund und Kinn. Danach stieg er wieder auf und trat in die Pedale. Der Wind kam von vorne und blies ihm winzige Nebeltröpfchen ins Gesicht, das war nicht angenehm, aber auf diese Weise konnte das Kind ihn nicht näher kommen hören. Kurz bevor er das Kind erreicht hatte, stoppte er das Rad und ließ es achtlos umfallen. Das Kind drehte sich um, und der Junge sah ein kleines, in Schal und Kapuze verpacktes erschrockenes Gesicht, das ihn einen Moment lang irritierte. Es war ein Mädchen. Es wurde blass vor Angst, und der Junge griff zu. »Leg dich hin!«, herrschte er das Mädchen an und warf es gleichzeitig auf die matschige Erde. Es war helllichter Tag aber die Chancen standen gut, dass bei diesem Wetter niemand vorbeikommen würde. Das Mädchen lag wie gelähmt auf dem Rücken. »Dreh dich um!«, schrie der Junge. Erstaunlich gehorsam legte sich das Mädchen auf den Bauch. Es begann leise zu weinen. Zeit zu töten, dachte der Junge wieder, aber eigentlich, das spürte er, war er noch nicht so weit. Noch nicht.
    Er fesselte die Arme des Mädchens und drehte es anschließend wieder auf den Rücken. Unter der Kapuze trug die Kleine eine Mütze aus dünnem Baumwollstoff, die zog ihr der Junge bis über die Augen. Danach stopfte er ein Taschentuch in ihren Mund. Alles klappte wie am Schnürchen. Er war froh, dass er das Kind noch nie gesehen hatte; das erleichterte ihm die Sache. Denn es ging hier um eine Sache, seine Aufgabe war ganz unpersönlich, sie hatte nichts mit diesem Mädchen hier zu tun, sie war nur zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber das konnte er ihr nicht hier und jetzt erklären.
    Hastig öffnete er ihren Anorak, zog ihr die Schuhe und die Hosen aus, und schob Hemd und Pullover so weit es ging nach oben: weiße Haut, die etwas verschloss. Weiße Haut, ein Tresor, den er knacken musste. Er fesselte ihre zappelnden Beine, achtete nicht auf die dumpfen Geräusche, die sie hinter dem Knebel verursachte. Alles musste jetzt sehr schnell gehen. Er zog sein frisch geschärftes Messer aus der Hosentasche und vollführte einen raschen, oberflächlichen Schnitt quer über ihren Unterleib. Die gedämpften Schreie des Mädchens wurden lauter und wilder, ihr Körper wand sich wie eine Schlange, als der Junge, euphorisch von dem Anblick des Blutes einen zweiten Schnitt machte. Einen, der sich mit dem ersten Schnitt kreuzte. Nun, dachte er, müssten sich die Hautlappen an den Stellen anheben lassen. Aufklappen lassen wie ein Buch.
    Aber so einfach war es nicht. Um genau zu sein, es funktionierte kein bisschen so, wie er es sich vorgestellt hatte. Das lag vor allem daran, dass das Kind keine Sekunde lang ruhig liegen blieb, sodass er sein Messer kein weiteres Mal zu einem sauberen Schnitt hätte ansetzen können. Das brachte ihn in Rage, und fast wäre es wieder zu einer Schweinerei gekommen – da begann es so heftig und stürmisch zu regnen, dass der Junge aufwachte aus seinem fast tranceartigen Zustand, und sah, was er beinahe angerichtet hatte. Einen Moment lang packte ihn wieder einmal die gigantische Furcht vor dem, was in ihm

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