Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
Vom Netzwerk:
Kanonenkugel, er konnte ihn kaum aufrecht halten. Er sank auf die Erde, sein Rücken hielt Kontakt zum Auto, etwas am Wagen, wahrscheinlich der Türgriff, bohrte sich in seine Nieren, dann in seine Wirbelsäule, in seinen Nacken. Dann saß David auf dem Boden und sah die Frau an, die hoch aufgerichtet vor ihm stand, mit beiden Händen einen Baseballschläger schwingend. Sie hatte ihre Haare unter einer Art Tuch verborgen, ihr Gesicht war schweißbedeckt und ihre Lippen verzerrt. Trotzdem erkannte David sie auf Anhieb. Es war Sabine, dieselbe Sabine, die das Seminar gestern Mittag unter Protest verlassen hatte.
    »Sabine...«, sagte David und spürte, wie seine Stimme schwächer wurde, bis nur noch ein heiseres Flüstern herauskam.
    »Sei bloß ruhig.« Sabine ließ den Schläger direkt auf seinen Kopf sausen. Er hörte die verdrängte Luft pfeifen und sah vor seinem inneren Auge seltsam unbeteiligt, wie dieser finale Hieb seinen Schädel spalten würde. Blut und Gehirnmasse würden austreten, und das würde umgehend zum Tod führen. Ohnehin konnte und wollte garantiert niemand diesen Schmerz überleben. David spürte noch, wie sein Kopf zur Seite fiel, als sei seine Halsmuskulatur bereits vollständig gelähmt, dann war nur noch Schwärze um ihn herum.

9
    Freitag, 25. 7., 4.08 Uhr
    »Hier sind Briefe«, sagte Fischer und knallte einen Packen davon auf den Küchentisch, an dem Mona saß und todmüde eine Zigarette rauchte. Es war nach vier Uhr morgens. Zusammen mit drei Beamten der Marburger Polizei stellten sie seit Stunden das Haus von Helga Kayser auf den Kopf, ohne mehr als das zu finden, was sich wahrscheinlich in jedem Haushalt der Welt im Laufe vieler Jahre ansammelt. Aktenordner, die vergilbte Versicherungsverträge, Mietunterlagen und uralte, längst verjährte Steuererklärungen bargen. Berge von Schwarzweiß-Fotografien, vorzugsweise Gegenlichtaufnahmen von abgestorbenen Bäumen und kontrastreich abgesetzte Schneelandschaften, wahrscheinlich ein Hobby des verstorbenen Herrn Kaysers, denn ein fensterloses Labor mit Vergrößerungsapparat und Entwicklerzubehör hatten sie ebenfalls gefunden. Im Keller entdeckten sie tonnenweise Altkleider aus vier bis fünf Jahrzehnten, säuberlich zusammengelegt und ohne ersichtlichen Zweck in sieben voluminösen Umzugskartons gelagert.
    »Briefe?«, fragte Mona. »Wo hast du die denn her?« Aus den zwei Schreibtischen im Haus jedenfalls nicht; die hatten sie als erstes gefilzt. Fischer sah sie triumphierend an. Zumindest für ein paar Minuten schien er ihren ewig schwelenden Streit vergessen zu haben.
    »Komm mal mit«, sagte er. Mona drückte wortlos ihre Zigarette aus und folgte ihm. Er führte sie in den Keller, in einen mit Holzpaneelen gepflasterten Hobbyraum.
    »Nein«, sagte Mona ungläubig, als sie das Versteck sah. Es war ein unter den Paneelen sorgsam in den Estrich eingelassenes Karree, etwa siebzig Zentimeter breit und knapp einen halben Meter tief. Es wirkte beinahe rührend. Hier hatten die Kaysers über viele Jahre hinweg die Habseligkeiten aufbewahrt, die ihnen wichtig erschienen. Neugierig trat sie näher. »Eine Schmuckschatulle«, zählte Fischer auf und sah über ihre Schulter. »Alte Fünfmark-Münzen, mindestens dreißig Stück, eher mehr, ein Reh aus – weiß nicht – Porzellan oder was. Dann ein Bündel D-Mark. Dreißig Hunderterscheine.«
    »Wie bist du da draufgestoßen?«
    »Die Stelle klang hohl beim Drüberlaufen«, sagte Fischer betont cool. »Ich dachte, hey, da ist doch was, und dann war dieses Quadrat in den Brettern.«
    »Gut«, sagte Mona. »Klasse Leistung. Wirklich gut«, wiederholte sie, und zu ihrer Verwunderung schien sich Fischer über das Lob zu freuen. Sie kniete sich auf den Boden und betrachtete die Ausbeute. Es war nicht viel in dem Versteck gewesen, und die meisten Dinge schienen alt zu sein. Bis auf den Schmuck (zwei Goldringe, besetzt mit echten oder falschen Diamanten, eine Kette mit einem glitzernden Herz) waren es Erinnerungsstücke, nur für die jeweiligen Besitzer von Wert. Und nun lag sie vor ihnen aufgereiht: die armselige Ausbeute zweier Leben. Mona nahm den Sack mit den Fünfmarkstücken in die Hand. Sie erinnerte sich: Viele Leute hatten diese Münzen damals gesammelt, bevor es das neue Geld gab, in der Hoffnung, dass sie später einmal etwas wert sein würden.
    »Tja«, sagte sie. »So werden wir alle mal enden.«
    »Was?«, fragte Fischer, ungeduldig von einem Bein aufs andere tretend.
    »Nichts«, sagte Mona

Weitere Kostenlose Bücher