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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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Plastik. Eine Videokassette. Was hatte sie in einem Bücherregal zu suchen? David nahm sie heraus. Der Klebezettel am Rücken der Kassette war unbeschriftet. Das war zumindest seltsam. In diesem Raum befand sich nicht einmal ein Fernseher, von einem Videogerät ganz zu schweigen. David brach erneut der Schweiß aus. Er steckte die Kassette in seinen Hosenbund und ließ das T-Shirt darüber fallen. Den Klappstuhl stellte er wieder ordentlich vor den Schreibtisch und vergewisserte sich, dass der Computer wirklich ausgeschaltet war und auch sonst so wenig wie möglich auf seine Anwesenheit hinwies. Dann verließ er den Raum, holte seine Schuhe aus der Gästetoilette und schlich zur Haustür, gegen alle Wahrscheinlichkeit hoffend, dass sie nicht abgeschlossen war. Er hatte keine Lust, sich ein zweites Mal durch das Klofenster zu zwängen.
    Die Haustür war tatsächlich nicht abgesperrt. Als ob Fabian es darauf anlegt , dachte David verwundert. Sein Herz klopfte, seine Knie zitterten ganz leicht, dabei war seine Ausbeute nur eine Kassette, die so neu aussah, dass sie vielleicht leer war. Nichts Besonderes, keine Affäre, sagte er sich immer wieder, aber etwas in ihm schien es besser zu wissen. Geduckt schlich er durch den stockdunklen Garten, neben dem gepflasterten Weg, der zum Tor führte und an dessen Verlauf er sich orientierte. Eine leichte Brise war aufgekommen; über seinem Kopf hörte er es in den hohen Bäumen rascheln, als würden sich die Wipfel flüsternd miteinander unterhalten.
    Schließlich sah er die beiden Streifenwagen, die direkt vor dem Tor postiert waren. Er warf einen Blick zurück auf das Haus: Ein Fenster war jetzt erleuchtet, aber es war seiner Erinnerung nach nicht das, hinter dem er das Schlafzimmer der Plessens vermutete. David zog sich hinter den Rhododendron in der Nähe des Tors zurück und behielt das Fenster im Auge. Niemand schien sich dahinter zu bewegen. Vielleicht waren doch Schupos im Haus und hielten Wache – in einem Zimmer dicht bei den Plessens, wie es sich gehörte. David sah zum Tor und fragte sich, wie er unbemerkt hinauskommen sollte? Das Grundstück war von einer hohen Mauer umgeben, die konnte er ohne Hilfe nicht überwinden. Eigentlich hatte er vorgehabt, die Nacht hier zu verbringen und sich am nächsten Morgen unauffällig den anderen Teilnehmern anzuschließen. Da hatte er aber noch nicht gewusst, dass die Nacht dermaßen kühl und klamm werden würde.
    Er überlegte. Er erinnerte sich, dass es einen Schuppen ganz in der Nähe des Seminarraums gab, der aussah, als würden dort Gartengeräte gelagert. Langsam tastete er sich dorthin, vorbei an der Terrasse des Hauses, seine Augen mühsam ans Dunkel gewöhnend. Nach einigen Minuten Sucherei entdeckte er das schattenhafte Gebilde des Schuppens und ging darauf zu. Er tastete sich am groben Holz entlang, bis er auf die Tür stieß. Sie war verschlossen. David fluchte lautlos und zerrte seine Dietrich-Kollektion aus der Hosentasche. Ein paar weitere Minuten vergingen, dann hatte er das Schloss geknackt. Er schaltete die Taschenlampe ein. Tatsächlich gab es hier Torfstecher, Gartenhandschuhe, einen elektrischen Rasenmäher – und eine Leiter. Die Höhe – knapp drei Meter – schien genau richtig zu sein. David nahm die Taschenlampe zwischen die Zähne und schaffte die hochkant stehende Leiter mühsam aus dem Schuppen.
    Sie war aus Holz und unglaublich schwer. David schulterte sie und schleppte sie hin und her schwankend in Richtung Mauer. Seine Erschöpfung war mittlerweile so groß, dass es ihm schon beinahe egal war, ob man ihn erwischte oder nicht . Möchte nicht wissen, wie ich aussehe , dachte er, während sich das splittrige Holz schmerzhaft in seine Schulter grub. Endlich war die Mauer erreicht – an welcher Stelle wusste David nicht, es interessierte ihn auch nicht, er war nur froh, endlich hier herauszukommen. Er stellte die Leiter an die Mauer und kletterte mit wackligen Knien hinauf. Zu seiner Erleichterung reichte sie tatsächlich bis fast zum Rand. David setzte sich rittlings auf die Mauer und versuchte, die Leiter nach oben zu ziehen.
    Keine Chance. Das Ding war viel zu sperrig und zu schwer. David schaute auf der anderen Seite nach unten – und sah nichts. Alles schwarz. Er musste also ins Ungewisse springen. Und hoffen, dass sich nicht ausgerechnet direkt an dieser Stelle etwas befand – was, das wollte er sich lieber nicht ausmalen -, das seinen Sprung auf unsanfte Weise beenden würde. Er wartete ein

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