Damals warst du still
Mutter geschrieben hat. Etwas, das in der Vergangenheit passiert ist.«
»Mona, also ehrlich, ich versteh nur...«
»Diese Taten«, unterbrach ihn Mona. »Die Morde. Die haben was mit der Vergangenheit zu tun. Da bin ich mir sicher. Ich meine, umsonst kritzelt keiner »Damals« auf eine Leiche. Verstehst du? Der bezieht sich doch mit diesem Wort auf was.«
»Also...«
»Setz dich erst mal hin«, sagte Mona und drückte Berghammer auf einen der gepolsterten Küchenstühle. Berghammer verzog sein Gesicht: Es roch muffig nach altem Brot und diversen Wurstsorten, aber sie hatten nichts im Kühlschrank gefunden außer einem angebrochenen Liter Milch, ein paar Naturjoghurts und einer unangerührten, mit Butter und Honig bestrichenen Semmel. Helga Kayser schien nicht mehr viel Appetit gehabt zu haben. Wahrscheinlich hatte sich der Geruch über Jahrzehnte eingenistet und war nun nicht einmal mehr durch tagelanges Lüften zu vertreiben.
Mona nahm gegenüber von Berghammer Platz. »Martin«, sagte sie eindringlich. »Ich bin mir ziemlich sicher, da war etwas in der Kindheit von Plessen und seiner Schwester. Sie war ganz nah dran, mir das zu erzählen.«
»Und?«, fragte Berghammer wieder. Langsam fragte sich Mona ernsthaft, was mit ihm los war. Er wirkte so desinteressiert. Als ginge ihn das alles hier nichts an. Warum war er dann überhaupt nach Marburg mitgekommen? Warum hatte er sich diesen Stress angetan mit dem Hubschrauberflug mitten in der Nacht, bei dem ihm auch noch schlecht geworden war? Als Chef der Mordkommissionen musste er solche Anstrengungen doch gar nicht mehr unternehmen. Für solche Aufträge hatte er doch seine Leute.
Was ihn andererseits nie davon abgehalten hatte, bei interessanten Fällen immer selbst dabei sein zu wollen.
»Ich weiß nicht«, sagte Mona. »Ich glaube, der Täter ist mit ihr... irgendwie verwandt. Ich glaube, es geht da um eine Familienkiste.«
Berghammer sah an ihr vorbei. Er saß mit den Händen in seinen Manteltaschen auf dem Küchenstuhl wie ein zufälliger Besucher, der nur auf einen Sprung vorbeigekommen und gerade dabei war, sich zu verabschieden.
»Martin?«, fragte Mona vorsichtig, nicht ganz sicher, ob er ihr überhaupt zugehört hatte.
Berghammer zuckte ganz leicht zusammen, als wäre er mit seinen Gedanken sehr weit weg gewesen. Er gähnte. »Kannst du mir einen Kaffee machen?«, fragte er.
»Wie bitte?«
»Kaffee«, sagte Berghammer heiser. Mona sah ihn an, plötzlich alarmiert.
»Stimmt was nicht?«, fragte sie. »Fühlst du dich nicht gut?«
Berghammer machte den Mund auf, um ihr zu antworten. Schweiß trat ihm auf die Stirn, und er öffnete seinen Hemdknopf. Er war sehr blass, und um die Lippen herum bildete sich ein seltsamer weißer Rand.
»Martin, was...«
Bevor Mona ihre Frage beenden konnte, kippte Berghammer, als hätte ihm eine unsichtbare Kraft einen heftigen Stoß gegeben, einfach vom Stuhl. Mona sprang auf und lief um den Tisch. Berghammer lag wie tot auf dem Boden, neben ihm der umgefallene Stuhl.
10
Freitag, 25. 7., 5.06 Uhr
Nachdem der Krankenwagen da gewesen war und die Sanitäter Berghammer mitgenommen hatten – er atmete wieder, nachdem Mona erste Hilfe mit Herzmassage und Mund-zu-Nase-Beatmung geleistet hatte, aber es sah trotzdem nicht besonders gut aus, wie einer der Ersthelfer Mona mitgeteilt hatte -, saßen Mona und Fischer allein in der Küche, vor sich die Briefe von Helga Kaysers Sohn. Die Durchsuchung des Hauses war mehr oder weniger abgeschlossen, die Marburger Polizei hatte das Feld geräumt, selbst den unsympathischen KOK Fehrhaber waren sie losgeworden. Die Leiche Helga Kaysers war abtransportiert worden und würde in ein paar Stunden auf einem von Herzogs Obduktionstischen liegen. Das Haus wirkte nun, nachdem die Armada an Beamten verschwunden war, sehr einsam und leer. Vor den Fenstern dämmerte es, und eine Milliarde Vögel freute sich lautstark auf den kommenden Tag.
»Wie sieht’s mit einem Testament von Helga Kayser aus?«, fragte Mona ohne viel Hoffnung. Sie hatte seit vielen Stunden nicht geschlafen und nichts gegessen, aber im Moment war ihr das egal.
»Nichts gefunden«, antwortete Fischer. Für seine Verhältnisse benahm er sich beinahe nett, zumindest aber endlich einmal so kooperativ, wie es seiner Position angemessen war. Berghammers Herzinfarkt – denn es war einer, der Notarzt hatte es bestätigt – schien Fischer einen Dämpfer verpasst zu haben.
»Gar nichts? Nicht mal was
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