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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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lange, bis wir es nur noch als unbestimmte Bedrohung wahrnehmen. Der Schmerz ist dann nicht mehr scharf und unerträglich, sondern dumpf, unkonkret und so allumfassend, als wäre die Welt nicht mehr farbig, sondern grau. Es gibt manchmal sogar Stunden, in denen ich Ferdi vergesse. Dann habe ich ein entsetzlich schlechtes Gewissen, denn ich fühle, dass Erinnern wirklich das Einzige und Letzte ist, was ich für ihn tun kann. Eine Verpflichtung, wenn auch eine qualvolle: Er hat unser Leid verdient, denn niemand konnte so viel Freude geben wie er.
    Wir hatten diesen wunderbaren Sommer. Ferdi hätte ihn genossen. Es tut so weh, dass er nie wieder die Sonne sehen wird. (…)
     
    10. Oktober 1979
    (…) Ich bin sehr erschüttert über das, was du berichtet hast, Mutter. Ich kann – mag – es auch kaum glauben. Es klingt wirklich
    Bitte entschuldige, ich kann nicht weiterschreiben. Ich muss das erst verarbeiten. Denke nicht, dass ich dein Vertrauen nicht schätze, aber ich bin
    Ich kann
    Ich schicke diesen unvollständigen Brief jetzt ab, weil du eine Antwort erwarten kannst, nach allem, was du mir bestimmt unter Schmerzen anvertraut hast. Es ist nicht deine Schuld, dass ich bislang zu schockiert war, um dir zu schreiben.
    Gib mir einfach noch etwas Zeit.
    Alles Liebe, dein Frank
     
    28. Dezember 1979
    (…) Es tut mir Leid, dass du dich über mich geärgert hast, ich kann dich sehr gut verstehen. Ich habe sehr lange nichts mehr von mir hören lassen. Aber wie soll ich sagen – diese Ereignisse liegen sehr weit zurück, 1945 herrschten Zustände, wie ich sie mir nicht einmal vorstellen kann, und deswegen wage ich die Schuldfrage einfach nicht zu stellen. Dass ich dir so lange nicht geschrieben habe, liegt auch daran: Ich kann dazu nichts sagen, außer: wie furchtbar! Ich kann dir keine Absolution erteilen wie ein Priester, ich bin ja nicht einmal religiös. Dennoch: Ich bin sicher, du hast alles getan, was möglich war, um diese Tragödie zu verhindern. Das hast du mir geschrieben, und das glaube ich dir, und du warst damals schließlich sehr jung! Du hattest keine Entscheidungen zu treffen. Damals galt Gehorsam noch etwas, und du warst nichts anderes als das. Gehorsam. In einer schrecklichen Zeit. (…)
     
    Das war der letzte Brief. Mona lief mit ihm nach oben. Berghammer stand mit den Händen in den Taschen seines Regenmantels im Schlafzimmer der Kaysers und wirkte dort wie bestellt und nicht abgeholt. Das Fenster stand offen, kühle Nachtluft drang in den Raum. Der Sommer macht eine kurze Pause, hatte der Nachrichtensprecher gestern früh angekündigt, und genauso war es. Die Matratze lag umgedreht auf dem Boden, der Kleiderschrank war komplett ausgeräumt, die Kommodenschubladen herausgezogen. Haufen von Kleidern und Unterwäsche türmten sich auf einem Stuhl und einem kleinen Nachttischchen. Der Rest lag auf dem Boden. Berghammer stand mittendrin in diesem Chaos und starrte Löcher in die Luft. »Martin«, sagte Mona. Er schrak zusammen.
    »Was ist?«, fragte er mit gereizter Stimme, ohne sie anzusehen.
    »Habt ihr irgendwas gefunden, das einem Tagebuch ähnlich sieht?«
    »Was? Nein!«
    »Nichts?«
    »Nein. Leute wie diese Kaysers schreiben kein Tagebuch. Briefe vielleicht, aber kein Tagebuch. Müsstest du eigentlich wissen.«
    »Apropos Briefe...«
    »Ja?« Berghammer klang immer noch ungeduldig, aber wenigstens wandte er sich ihr jetzt zu, und sie starrten sich an, Berghammer neben einem Kleiderhaufen auf dem Boden, Mona im Türrahmen verharrend, weil man in dieses Zimmer gar nicht mehr hineinkam, ohne auf etwas zu treten.
    »Komm doch bitte mit in die Küche«, sagte sie. Nebenan hörte sie es rumpeln und leise fluchen; wahrscheinlich rückte jemand einen Schrank oder ein Regal beiseite, um nachzuschauen, ob etwas darunter lag. Berghammer zögerte kurz und stieg dann vorsichtig über den Kleiderberg. Sein Fuß landete ausgerechnet auf einer voluminösen blau gerippten Männerunterhose, die wahrscheinlich einmal Herrn Kayser gehört hatte. Mona drehte sich um und ging vor ihm die knarzende Holztreppe hinunter.
    »Hier«, sagte sie, als sie in der Küche ankamen, und deutete auf die Briefe, die sie nach dem jeweiligen Datum auf dem grauweiß geflammten Resopaltisch geordnet hatte.
    »Was ist damit?«, fragte Berghammer.
    »Briefe«, sagte Mona. »Von Helga Kaysers Sohn. Du weißt schon, der der Anfang der Achtzigerjahre gestorben ist.«
    »Ja. Und?«
    »Einer der Briefe nimmt Bezug auf etwas, was ihm seine

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