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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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die Übelkeit gelegt. Der Geruch allerdings war noch immer in seiner Nase, versteckte sich in seinen Kleidern, seinen Händen. Vielleicht wurde man ihn nie wieder los. Er goss sich ein viertes Glas ein.
    »Die Frau«, sagte der Polizist, in der linken Hand einen kleinen Block, in der rechten einen Kugelschreiber, der über dem weißen Papier schwebte. »Wie heißt die?«
    »Sonja Martinez«, sagte der Hausmeister.
    »Allein stehend?«
    »Verheiratet. Ihr Mann hat sie verlassen. Zusammen mit der Tochter.« Diese Information war wichtig, so viel war auf jeden Fall klar, und er hatte die ganze Zeit auf diesen Augenblick gewartet, um sie endlich loszuwerden. Der Hausmeister war jetzt ein Zeuge. Vielleicht würden Journalisten mit ihm reden wollen, und er käme in die Zeitung oder ins Fernsehen – zumindest ein angenehmer Aspekt an dieser unangenehmen Geschichte.
    »Verlassen?«, fragte der Polizist mit uninteressiertem Gesicht und kritzelte in seinen Block.
    »Ja. Vor, also, ich würde mal sagen sechs, sieben Wochen. Da stand plötzlich der Transporter vor der Tür, und ich hab den Martinez die Sachen rausräumen sehen, und seine Tochter saß schon im Wagen.«
    »Die sind richtig umgezogen?«
    »Sah jedenfalls so aus.«
    »Haben Sie während dieser Zeit mal mit der – äh -, mit dem Opfer gesprochen?«
    »Schon, aber... Ich meine, sind Sie wahnsinnig, ich werd die doch nicht drauf anreden!«
    »Von sich aus hat sie nichts erzählt?«
    Das hörte sich so an, als würden die wirklich wichtigen Informationen fehlen, und als sei er schuld daran. Was er nicht war. »Ich hab die doch kaum gesehen in der letzten Zeit! Die hat doch das Haus überhaupt nicht mehr verlassen!«
    »Ist ja gut«, beschwichtigte ihn der Polizist. Sein Gesicht war so gelangweilt, als fände er jeden Tag eine grässlich stinkende Leiche. »Wo ist der Mann von ihr? Herr... Wie heißt der noch mal?«
    »Robert Martinez. Ist, glaube ich, Spanier.«
    »Mhm. Und wo ist dieser Martinez jetzt, wissen Sie das?«
    Der Hausmeister schüttelte den Kopf.
    »Hatten die Kontakt zu irgendwelchen Nachbarn? Er oder sie?«
    »Also wenn das so wäre, dann wären Sie doch längst hier gewesen.«
    Der Polizist schien das erst zu schlucken, dann schoss er plötzlich scharf. »Sie hätten sich ja vielleicht auch mal in das Stockwerk begeben können. Als Hausmeister. Oder?«
    Der Hausmeister lächelte. »Ich war eine Woche in Urlaub, auf den Kanaren. Bin gestern zurückgekommen. Können Sie alles nachprüfen.« Sein Ticket lag im Schlafzimmer, er konnte es sofort holen, falls jemand einen Beweis verlangte. Doch das tat niemand, denn in diesem Moment klingelte es an der Wohnungstür.
    »Kollegen«, sagte der Polizist trocken, und es klang irgendwie triumphierend. »Machen Sie denen mal auf, die wollen sicher noch’ne Menge wissen.«

13
    Mittwoch, 16. 7., 13.08 Uhr
    »Acht, neun Tage, schätz ich mal«, sagte der Gerichtsmediziner, einer von Herzogs Mitarbeitern, deren Namen Mona regelmäßig vergaß. Dann fiel ihr ein, dass er auch im Mordfall Samuel Plessen am Tatort gewesen war. Er hieß – Wagner. Wagner, Wagner, Wagner. Es war nicht gut, wenn man Namen dauernd vergaß. Rachsüchtige Naturen merkten sich das. »Wenn man die Hitze berücksichtigt«, erklärte Wagner, »die geschlossenen Räume, wenig Luftfeuchtigkeit, die den Prozess beschleunigt hätte... Dann ist das hier ein Haus aus den Achtzigerjahren, also gut dichtende Fenster, Lärmschutz... Acht Tage plus minus einen würd ich sagen.«
    Im weißen Overall der Tatortleute und mit Gummihandschuhen an den Händen kniete er vor der Leiche. Vorsichtig schob er das T-Shirt der Frau nach oben und hielt mitten in der Bewegung inne. »Das ist ja wie ein Déjà-vu«, sagte er leise. Mona hockte sich neben ihn. Sie spürte, wie ihr der Schweiß in Bächen die Schläfen herunterrann. Sie atmete flach, um den entsetzlichen Geruch nicht allzu tief in sich hineinzulassen. Sie sah in das Gesicht der Frau und registrierte eine aufgeblähte Masse ohne irgendwelche individuellen Kennzeichen – man konnte gerade so erkennen, dass es sich um eine Frau handelte. In den halb geschlossenen Augen und in den Nasenlöchern nisteten dünne weiße Maden: Nichts, was das Wesen dieser Frau einmal ausgemacht hatte, war noch sichtbar oder fühlbar. Der Tod machte alle gleich. Gleich hässlich, dachte Mona, und ein kurzer Schauer lief ihr über den Rücken. Der Tod in diesem Stadium ließ einem nur den Glauben an eine unsichtbare unsterbliche

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