Damals warst du still
Mona nicht sehr angenehm. Vermutlich konnte er cholerisch werden, wenn etwas nicht lief, wie es ihm passte. Aber jetzt war er zu angeschlagen dafür, und das hatte durchaus sein Gutes.
»Ich schalte jetzt ein Band ein. Sie sind damit einverstanden, dass unser Gespräch aufgenommen wird?«
»Von mir aus.«
Mona klärte die Präliminarien – Datum, Uhrzeit, Ort, Name des Zeugen, Alter – und stellte die erste Frage: »Haben Sie Frau Martinez gekannt?«
»So vom Sehen. Nicht gut.« Brennauer rülpste. Sein Blick wanderte zu der Schnapsflasche auf dem Wohnzimmertisch. Sie befand sich knapp außerhalb seiner unmittelbaren Reichweite.
»Ist Ihnen vor ungefähr zehn Tagen jemand hier aufgefallen? Jemand, den Sie nicht kannten?«
»Hier im Haus?«
»Ja. Auf dem Flur. Strich da jemand herum, den Sie noch nie gesehen hatten?«
»Kann mich nicht erinnern. Nein.«
»Frau Martinez’ Mann, Robert Martinez, hat seine Frau verlassen, stimmt das so?«
»Glaub schon. Da war dieser Möbelwagen, und drinnen saß seine Tochter, und dann fuhr er den Wagen weg.«
»Haben Sie ihn danach noch mal hier gesehen?«
»Nie mehr. Aber ich hab den auch früher nicht so oft...«
»Wissen Sie, wo er sich jetzt aufhält?«
»Hab ich Ihrem Kollegen schon gesagt. Keine Ahnung.«
»Gibt es hier im Haus jemanden, der wissen könnte, wo sich Herr Martinez aufhält? Ein Nachbar oder so?«
»Weiß ich nicht! Ich kenn die Familie doch bloß vom Sehen!«
»Ist Ihnen an Frau Martinez in den letzten Wochen irgendwas aufgefallen?«
»Das hat alles schon Ihr Kollege...«
»Das ist egal, Herr Brennauer. Völlig egal. Wir müssen das alles wissen, weil hier ein Mord passiert ist. Verstehen Sie das, Herr Brennauer? Da ist wer umgebracht worden, und wir müssen den Täter finden. Und wenn das bedeutet, dass wir Sie noch einmal oder zweimal oder fünfmal vernehmen müssen, dann ist das so. Verstanden?«
»Kann ich einen Schluck...«
»Später.«
»Kann ich rauchen?«
Mona nickte und holte ihre eigene Schachtel aus ihrer Tasche. Der Polizist öffnete ein Fenster, und heiße Sommerluft strömte in den stickigen Raum. Mona hörte Kindergeschrei und eine Frauenstimme, die mit hektischem Unterton immer wieder »Boris!« rief. Brennauer zündete sich ein Zigarillo mit gelbem Plastikmundstück an.
»Können wir weitermachen?«, fragte Mona. Sie sah auf die Uhr. Berghammer leitete zur Stunde die PK zum Mordfall Samuel Plessen, verbunden mit dem Aufruf, dass sich all diejenigen melden sollten, die Samuel kurz vor dem Mord lebend gesehen hatten. Er ahnte noch nichts von der Sachlage, die sich hier ergeben hatte.
»Können wir weitermachen?«, wiederholte sie. Brennauer zog an seinem Zigarillo und antwortete nicht. Sein Gesicht war jetzt nicht mehr rot, sondern bleich, mit einem weißlichen Rand um den schweren Mund. Sein Aussehen zeugte nicht nur von momentanem Unwohlsein, sondern von jahrzehntelangem Raubbau an seinem Körper – zu fettes Essen, zu viel Schnaps und Bier, zu viel Nikotin, zu wenig Bewegung. Mona ignorierte das. Wenn er zusammenklappte, musste man einen Arzt holen, aber vorher wollte sie ihre Informationen haben.
»Ich muss wissen...«, begann sie.
»Hören Sie mal, Frau Weißichnichtwas: Ich weiß gar nichts! Nichts! Sie können hier noch eine Stunde...«
»Genau. Eine Stunde oder länger. Wenn Sie nicht kooperieren. Sonst geht’s schneller.« Mona zog an ihrer Zigarette. Der Rauch milderte das Leichenaroma, das sie und Brennauer mit sich herumtragen würden, bis jedes einzelne Teil ihrer heutigen Garderobe in der Waschmaschine gelandet war. Selbst an den Schuhen haftete der Geruch wie eine besonders penetrante Ermahnung, ja nicht zu vergessen, was man gesehen hatte.
»Wann haben Sie zum letzten Mal mit Frau Martinez geredet?«
»Weiß nicht mehr.«
»Dann strengen Sie sich an. Ich hab jede Menge Zeit.«
Brennauer sah sie hasserfüllt an, und Mona starrte ungerührt zurück. Vielleicht wusste er ja wirklich rein gar nichts. Aber gehen lassen würde sie ihn erst, wenn sich Letzteres zweifelsfrei erwiesen hatte.
»Also wann?«, fragte sie. Der Schupo erkundigte sich, ob er sich »kurz frisch machen« dürfe, und Mona nickte ihm zu. Der Polizist verließ den Raum. Kurze Zeit später hörte man die Klospülung.
»So vor zwei Wochen«, sagte Brennauer schließlich. »Ungefähr«, fügte er hinzu. Das Zigarillo war schon fast aufgeraucht – ein Zeichen für seine minderwertige Qualität -, aber Brennauer zog immer noch daran,
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