Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
Vom Netzwerk:
Patientin von ihm. Also stand sie ihm in gewisser Weise sehr wohl nahe. Dann folgt sein Sohn, der ihm – klar – näher stand als Sonja Martinez. Und? Wer steht ihm noch näher oder mindestens genauso nah wie sein Sohn? Seine Frau! Wir hätten gleich daran denken müssen: Sie ist die Nächste.« Mona verstummte. Es war mucksmäuschenstill in dem überhitzten, verrauchten Raum.
    »Seine Frau, okay«, sagte Berghammer langsam. »Dann wäre sie nach der Logik des Täters das nächste Opfer.«
    »Ja, weil Plessen keine weiteren Verwandten hat«, sagte Forster und blätterte in seinem Block. »Seine Eltern sind natürlich längst tot, und Geschwister...«
    »Was ist mit ihnen?« fragte Mona.
    »Moment... Seine einzige Schwester ist vor drei Jahren gestorben. Sie war fünf Jahre älter als er.«
    »Cousins, Cousinen?«
    »Keine Ahnung«, sagte Forster. »Ist doch auch egal. Selbst wenn es welche gäbe, die würden ihm viel weniger nahe stehen als seine Frau und sein Sohn. Die wären bestimmt nicht in Gefahr.«
    »Bleibt seine Frau«, sagte Mona. »Nachdem, was wir wissen, müsste sie die Nächste sein. Wir müssen sie überwachen lassen. Sie braucht Polizeischutz.«
    »Das Haus wird doch sowieso schon überwacht«, sagte Berghammer.
    »Das reicht nicht. Nicht bei einem Täter, der dermaßen organisiert vorgeht. Sie braucht jemanden, der sie zum Einkaufen begleitet, in die Stadt, zu ihren Freundinnen. Wohin auch immer.«
    »Okay«, sagte Berghammer. »Wir schicken zwei Schupos vorbei, die weichen ihr nicht von der Seite. Karl, kannst du das bitte veranlassen? Gut, dann war’s das für heute.«
    Inmitten des allgemeinen Stühlerückens ging Mona auf Fischer zu und winkte ihm, mit in ihr Büro zu kommen.

7
    Montag, 21. 7., 16.34 Uhr
    »Wir müssen reden, Hans.«
    »Ich hab nichts zu sagen.«
    »Gut, dann sag ich dir was. Du bist gut. Du bist intelligent und schnell, und du hast keine Angst. Wir brauchen Leute wie dich. Aber das wird mich nicht daran hindern, dich auflaufen zu lassen, wenn du so weitermachst.«
    »Tu was du nicht lassen kannst.«
    »Mein Eindruck ist, du hast ein Autoritätsproblem. Sollte sich das nicht bessern, wirst du kaltgestellt. Das geht ganz schnell.«
    »War’s das?«
    »Ja, Hans. Es ist dein Leben, deine Karriere. Überleg dir gut, was du damit anstellen willst. Schönen Feierabend. Und mach die Tür hinter dir zu, wenn du gehst.«

8
    Montag, 21. 7., 20.19 Uhr
    »Lukas, du hast geschwänzt. Deine Lehrerin...«
    »Die blöde alte Gelbzahn!«
    »Egal, wie blöd du sie findest, du hörst auf damit. Klar?«
    »Die blöde Kuh. Alte Petze.«
    »LUKAS, DU HÖRST AUF DAMIT! HABE ICH MICH KLAR AUSGEDRÜCKT? FALLS NICHT, GIBT’ SECHT ÄRGER!
    »Schrei nicht so.«
    »ICH KANN NOCH VIEL LAUTER SCHREIEN, WENN ICH DAS GEFÜHL HABE, DASS DU DEN SCHEISS HIER NICHT ERNST NIMMST. DU HÖRST AUF ZU SCHWÄNZEN! HABEN WIR UNS VERSTANDEN?«
    »Ja.«
    »Versprochen?«
    »Ja.«
    »Ich werd das kontrollieren. Ich werde mit deinen Lehrern Kontakt halten.«
    »Mann!«
    »Und jetzt geh schlafen.«
    »Mam! Es ist erst nach acht!«
    »Genau. Und ich will, dass du morgen fit bist. Für die Schule. Gute Nacht.«
    »Das ist... kotzig!«
    »Schlaf gut.«
    »Mann! Ich bin überhaupt nicht müde!«
    »Schlaf gut. Raus hier. Ab in dein Zimmer!«

9
    1986
    Nach vielen ausgestandenen Ängsten begann es dem Jungen zu gefallen, dass die Welt, die man sah, hörte und fühlte nicht die einzige war, die es für ihn gab. Er lernte, auf oberflächliche Weise zu funktionieren und alle Gefühle abzuschalten, die dazu angetan waren, ihn zu frustrieren und zu verunsichern.
    Das war die dritte Stufe seiner Entwicklung. In der ersten hatte er Menschen kaum wahrgenommen; sie schienen ohne jede Bedeutung für ihn und sein Leben zu sein. In der zweiten Phase wollte er Teil von ihnen werden – nicht aus Zuneigung oder Erkenntnis, sondern aus purer Einsamkeit, die er in der Rückschau als peinliche Schwäche brandmarkte. In der dritten wandte er sich endgültig von ihnen ab, übernahm aber aus Selbstschutz Verhaltensweisen, die er bei ihnen beobachtet hatte und von denen er wusste, dass sie nicht nur gut ankamen, sondern ihm auch Probleme vom Hals hielten. Schließlich war gerade jemand wie er darauf angewiesen, nicht unangenehm aufzufallen. Ein Jahr lang übernahm er als Agitator die Gestaltung der Wandzeitung, füllte das Blatt anlässlich spezieller Feiertage der Republik mit Fotos und Interviews, die er in seiner Freizeit erstellte. Es machte

Weitere Kostenlose Bücher