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Damals warst du still

Titel: Damals warst du still Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa von Bernuth
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weinen. Er antwortete nicht auf die Frage und auch auf keine andere mehr. Nach ein paar Minuten vergeblichen Bemühens ließen sie ihn in Ruhe. Dr. Baum gab dem Pfleger, der stumm an der Tür wartete, ein Zeichen. Lachenmeier weinte immer noch, als der Mann ihn hochzog, und sanft hinausführte. Mona hätte sich am liebsten ebenfalls sofort verabschiedet. Bauer sah aus, als stünde er kurz vor einem Zusammenbruch.
    »Geht’s Ihnen gut?«, fragte Dr. Baum nach einer Pause mit teilnehmender Stimme.
    »Ja«, sagte Mona. »Sicher.« Sie nahm sich zusammen. »Sein Großvater war bei der SS oder einem ähnlichen Verein, stimmt’s?«
    Dr. Baum nickte. »Waffen-SS. Sie werden das den Gesprächsprotokollen entnehmen können. Dieser Plessen hat während seiner Therapie offenbar eine frühkindliche Erinnerung geweckt. Fritz’ Großvater war Fotograf und Mitglied der Waffen-SS und in Warschau zurzeit des jüdischen Gettos stationiert. In den Sechzigerjahren hat er dem damals Sechs- oder Siebenjährigen einige seiner Fotos gezeigt, wo es um Erschießungen jüdischer Widerstandskämpfer ging. Das war wohl nach der pädagogischen Devise So geht es einem, wenn man nicht brav ist gedacht.«
    »Mein Gott«, sagte Mona. »Das ist...«
    »Fritz war ein Kind«, sagte Baum. »Er konnte nach diesem Vorfall nächtelang nicht schlafen. Schließlich hat er das vergessen oder verdrängt oder wie immer man das nennen mag, und das war vielleicht gar nicht so schlecht. Er blieb zwar ängstlich und zwanghaft, auch als Erwachsener. Aber immerhin, er hatte einen Job, eine Frau, zwei Töchter... Dieses Seminar hat er eigentlich nur gemacht, um etwas, na ja, mutiger und lebenslustiger zu werden.« Dr. Baum seufzte. »Tja, stattdessen wurden dabei jede Menge schlafende Hunde geweckt.«
    »Was ist danach passiert?«, fragte Mona.
    »Fritz hat recherchiert wie ein Besessener. Und seine Befürchtungen haben sich als wahr erwiesen. Er hat sogar diese grauenvollen Bilder wieder gefunden, verpackt in einer Kiste bei seinen Eltern auf dem Speicher. Anschließend begann dieser Verfolgungswahn. Fritz ist regrediert.«
    »Regre…?«
    »Er ist sechs Jahre alt, und sein Großvater droht ihm, weil er nicht brav war. Wieder und wieder.«
    »Er hasst Plessen«, stellte Bauer fest.
    »Das kann man ihm wohl kaum verübeln.«
    »Ist er in der geschlossenen Abteilung?«, fragte Mona.
    »Nein. Aber unter ständiger Aufsicht. Ausgeschlossen, dass er etwas mit diesen Taten zu tun hat.«
    »Das sagt sich leicht. Da gibt es Fälle...«
    »In seiner Akte befinden sich seine Tagespläne. An den fraglichen Terminen hatte er einmal Gruppenstunde und einmal Einzeltherapie. Und er besitzt ja nicht einmal ein Auto.«
    »Der Mord an Samuel Plessen passierte in der Nacht. Theoretisch wäre ein heimlicher Abgang sehr wohl möglich gewesen. Schließlich gibt es die Bahn.« Aber Mona wusste, wie gering die Wahrscheinlichkeit war. Die notwendige akribische Planung, all die strategischen Feinheiten – in seinem derzeitigen Zustand war Lachenmeier dazu nicht in der Lage. Es sei denn, er simulierte perfekt. Aber wer brachte das schon fertig, drei Monate lang, Tag für Tag, eine halbe Ewigkeit?
    »Was meinte er mit Plessens Freunden?«, fragte sie zuletzt.
    »Keine Ahnung«, sagte Dr. Baum. »Er hat noch nie von denen gesprochen.«
    »Hat er je Angst gehabt, bedroht zu werden? Egal von wem?«
    »Nur von seinen Schimären. Da waren nie reale Person darunter, wenn Sie das meinen.«
    Mona stand auf, und Bauer schloss sich ihr sofort an, sichtlich erleichtert, diesen Ort hinter sich zu lassen. Sie verabschiedeten sich hastig von dem etwas überrascht wirkenden Dr. Baum. In Monas Kopf hatten sich Informationen zusammengefügt, die ein beunruhigendes Bild ergaben.

6
    Montag, 21. 7., 15.30 Uhr
    Obwohl sie in einen Stau auf der A 8 geraten waren, kamen sie pünktlich zur Konferenz ins Dezernat. Mona erstattete Bericht und fügte hinzu: »Ich schätze, dass wir auf der richtigen Spur sind. Der Täter ist möglicherweise ein ehemaliger Patient Plessens. Plessens Seminare sind sicher gut für gesunde, stabile Leute. Bei jedem, sagen wir, hundertsten lösen sie aber irgendwas aus, das keiner vorhersehen kann. Entweder werden die Patienten dann verrückt oder depressiv. Sie bringen sich selbst um. Oder sie bringen jemand anderen um. Zum Beispiel jemanden, der Plessen nahe steht.«
    »Sonja Martinez stand ihm doch nicht nahe«, wandte Berghammer ein.
    »Sonja Martinez war die erste Tote, eine

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