Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
um mit meinen Romanfiguren Gespräche zu führen. Und ich wusste vom ersten Augenblick an, meine Zeit in Zürich würde mehr als genug mit Arbeit ausgefüllt sein, ich würde meinen großen Roman ( Die dunkle Seite der Liebe ) solange auf Eis legen müssen. Denn man kann keine zwei Wassermelonen auf einer Hand balancieren.
Doch das Gespräch hier am Collegium Helveticum barg auch die Chance in sich, mein Leben um eine einmalige Erfahrung reicher zu machen. Deshalb entschied ich mich dann doch für Zürich und tröstete meine Romanfiguren mit dem Hinweis, ein Kunstwerk, das nicht ein halbes Jahr warten könne, tauge nichts. Diesen Gedanken hielt ich in meinemelektronischen Arbeitsjournal fest, und ich bildete mir ein, mein Computer habe dabei in jener Nacht ein Geräusch von sich gegeben, das sich wie ein jammervoller Protest anhörte.
Ich bin also nach Zürich gekommen, um Gespräche zu führen, um Woche für Woche mit den Kollegiatinnen und Kollegiaten die Möglichkeiten eines Gesprächs zu erkunden. In meinem Computer habe ich bereits alle Strukturen dieser Gespräche erarbeitet, und meine Bibliothek wuchs um eine Menge Bücher an, die nur das Thema Gespräch behandeln. Doch viel wichtiger als all diese Bücher und meine Vorbereitungen ist das Gespräch selbst. Diese Überzeugung bringe ich im Herzen mit, und ich werde alles in meiner Kraft Stehende tun, um in Zürich wunderbare Gespräche zu führen.
Dies zur Vorgeschichte meines heutigen Vortrags.
Was aber sollte aufgrund dieser Vorgeschichte das Thema meiner Antrittslesung anderes sein als Das Gespräch .
Doch zunächst eine Bemerkung: Wäre das Leben ein Baum, so könnte ich hier in einer limitierten Zeit nur den Stamm und die wichtigsten Äste aufzeichnen; die Zweige, Blätter, Blüten und Früchte müsste man sich dazudenken. Gar nicht zu reden von den unsichtbaren Wurzeln. Und insofern entspricht das meiner Vorstellung von einem guten Vortrag, der kleine Anstöße zum Weiterdenken geben muss.
Das Wort »Gespräch« wird dessen voller Bedeutung nicht gerecht. Es betont den Akt des Sprechens und unterschlägt die wichtigere Hälfte: das Zuhören. Es müsste »Gehörspräch« heißen. Das Hören ist im Leben des Menschen viel mächtiger und älter als das Sprechen und unter all den anderen Lebewesen viel weiter verbreitet.
Viereinhalb Monate nach der Befruchtung des Eis im Mutterleibist unser Innenohr, das eigentliche Hörorgan, schon komplett ausgebildet. Alle anderen Organe wachsen und verändern sich weiter, manche bis zum 18. Lebensjahr. Nur das Innenohr bleibt so, wie es schon mit 18 Wochen war.
In allem und jedem ist das ungeborene Kind von der Mutter abhängig. Nur beim Hören will es selbständig sein.
Die Ohren sind auch die Letzten, die beim Abschied von der Erde die Fensterläden zumachen, als hätte das Lebewesen noch immer nicht genug gehört.
Das Zuhören wertet das Sprechen auf. Was wären Schriftsteller, Lehrer, Liebende, Prediger, Politiker oder Sänger ohne das Zuhören?
Vor Jahren plädierte ich für die Stiftung eines großartigen Preises für die missachtete Kunst des Zuhörens. In dem Zusammenhang begründete ich bereits, warum das Zuhören eine komplizierte, aber unterschätzte Kunst ist. Vor allem legte ich damals dar, warum in der Regel die Frauen als Sieger aus diesem Wettstreit hervorgingen. Weibliche Ohren sind besser geschult, weil Frauen als die Unterlegenen in der Geschichte schon immer auf das Zuhören angewiesen waren. Genaues Zuhören konnte Leben retten oder ganz neue Möglichkeiten eröffnen und bedeutete nicht selten Befreiung.
Vielleicht ist das auch der Grund, weshalb unsere Gesellschaft keinen solchen Preis einrichtet. Denn durch ihn würde sich die Unterlegenheit der Männer sowohl in ihrer Erbarmungslosigkeit wie in ihrer Erbärmlichkeit erweisen.
Zuhören muss wie jede andere Kunst erlernt werden. Warum also nur Malen, Musik, Mathematik und Geographie und nicht einmal pro Woche lernen zuzuhören.
Es ist schon merkwürdig, dass die Schüler aller Länder in einem Punkt gleich sind: Sie verschlingen Berge mehr oder weniger sinnvollen Wissens, und noch kein Land kam bisherauf die Idee, seine Kinder und Jugendlichen auf das Leben vorzubereiten. Schon eine Stunde pro Woche Unterricht im Umgang (und dazu gehört das Zuhören) mit anderen Menschen würde den Schülern gut tun, denn Zuhören macht weise. Ich verstehe schon, dass eine Diktatur solche aufmerksamen Bürger nicht vertragen kann. Aber warum
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