Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
dass dies eine nachträgliche Fälschung europäischer Zensoren ist, ist zwar berechtigt, aber sie verändert nichts an der Tatsache, dass die meisten heutigen Deutschen ein merkwürdig gestörtes Verhältnis zum Feilschen haben.
Die Muslime stehen also in Fragen des Handels eher den Juden als den Christen und die orientalischen Christen eher den Muslimen als den Europäern nahe.
Ich freute mich den ganzen Morgen auf den Kauf eines Pullovers, trank meinen Espresso und schlenderte zu einem Kaufhaus, das etwas gehobene Qualität anbot. Nach einigem Suchen fand ich einen Pullover. Er sollte 250 DM kosten.
Ich fragte eine junge Verkäuferin: »Entschuldigen Sie. Wie viel kostet dieser Pullover?«
Ein Händler in Damaskus hätte sich darüber gefreut, denn die Frage nach dem Preis zeigt Interesse, und ein Kunde, der spricht, verspricht einen Kauf.
Die Frau schaute mich erstaunt an. »Steht doch drauf«, sagte sie und zeigte mir das Etikett. »Zweihundertfünfzig.«
»Nun gut«, sagte ich, »ich zahle hundert.« Das ist mehr, als die Regel vorschreibt, aber ich wollte die Frau nicht lange aufhalten, normalerweise zahlt man ein Drittel, nur Touristen zahlen immer die Hälfte.
In Damaskus hätte sich jeder Händler gefreut, denn ein Drittel ist bereits fast in der Kasse, und nun bemüht man sichum die anderen zwei Drittel. Deshalb heißt der Vorgang Handeln. Und wäre das, was die Deutschen beim Einkaufen tun, richtig, so hieße das Verb nicht »handeln«, sondern »Händlern glauben«, »Etiketten gehorchen« oder ähnlich.
Stattdessen war die Verkäuferin über mein Angebot entsetzt. Sie sprach nun lauter, weil sie dachte, ich sei schwerhörig: »Zweihundert … und … fünfzig.«
»Nun gut, nun gut, ich will nicht knauserig sein, ich zahle hundertzehn.«
Die Frau lachte und schaute sich um. Wahrscheinlich dachte sie, es sei ein Scherz mit der versteckten Kamera. Sie zeigte mir wieder das Preisetikett. »Was heißt hundertzehn? Es steht zweihundertfünfzig drauf und kein Pfennig weniger. Wir sind hier doch nicht im Basar!«
»Doch, Madame. Ein Kaufhaus mit fünf Stockwerken ist ein Basar, der übereinander gebaut ist. Das ist alles. Etiketten, Etiketten« – und ich bemühte mich, mit meinem Tonfall das Wort »Etiketten« so lächerlich wie nur möglich zu machen –, »wie blass sind Preisetiketten im Vergleich zum bunten Leben! Bei uns sagt man: Das Leben ist nehmen und geben, Frage und Antwort. Kommen Sie mir entgegen, komme ich Ihnen entgegen. Schauen Sie, ich zahle, weil Sie so freundlich sind und heute wahrscheinlich noch keine guten Geschäfte gemacht haben, hundertzwanzig, ist das ein Wort? Wenn Sie mir entgegenkommen, werde ich wahrscheinlich Stammkunde.«
»Was … wie? Stammkunde? Nein, das geht wirklich nicht«, sagte sie nun fast entschuldigend.
Ich dachte an einen Rat meiner Mutter: »Wenn ein Händler jung ist, musst du ihn erziehen. Du gehst mit dem Angebot etwas höher, vielleicht ist es die Ware doch wert. Dabei lässt du deinem Kontrahenten immer eine Tür offen, um sich ohne Gesichtsverlust zurückziehen zu können, und dann sagst duschlecht gelaunt: ›Das ist mein letztes Wort!‹ Und du wirst sehen, da läuten beim Händler die Glocken, und er kommt dir entgegen.« Ich sagte zu der Verkäuferin fast drohend: »Ich zahle hundertfünfzig, aber das ist mein letztes Wort.«
Sie schaute mich verwirrt an. »Letztes Wort«, wiederholte sie verblüfft, »Sie … können sagen … was Sie wollen.«
Da fiel mir der goldene Rat meines Vaters ein: »Es gibt Händler, die ziemlich schwer von Begriff sind. In diesem Fall, und wenn alles nichts nützt, kannst du Gift darauf nehmen, dass Folgendes hilft: Du gehst sicherheitshalber etwas mit dem Preis nach oben, damit signalisierst du Mut und Entschlossenheit, dann sagst du: ›Das ist mein letztes Angebot, sonst gehe ich zu einem anderen Händler.‹ Dann gehst du langsam los und drehst dich nicht mehr um, sonst weiß der Händler, dass du an der Ware hängst. Nein, geh langsam und dreh dich nicht um. Das steht schon in der Bibel! Geh und du wirst sehen, der Händler ruft dir nach und kommt dir mit dem Preis etwas entgegen.«
Ich versuchte es so bei meiner Verkäuferin: »Hören Sie, ich zahle hundertsiebzig. Ist das nichts? Wenn Sie mir jetzt nicht entgegenkommen, gehe ich zu einem anderen Händler, und Sie können sicher sein, ich werde dort einen Pulli finden.«
»Gehen Sie doch, wer hält Sie hier denn fest?«, antwortete sie. Ich schlurfte
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