Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
taugte zu nichts. Aber die intelligenten Ideologen der Opposition fanden immer wieder Wege, um ihre Niederlagen vor der Realität mit der Klage über die ohnehin allgegenwärtig agierende Staatsgewalt zu kaschieren. Doch die Mehrheit der Bevölkerung lehnte sie ab. Diese Mehrheit, die immer wieder hilf- und selbstlos explodierte und durch keine Gewalt einzuschüchtern war, ließ die Opposition links liegen, weil diese mit ihr nicht sprechen konnte. Eine Minderheit von klugen und opferbereiten Mitgliedern des Untergrunds rief verzweifelt dazu auf, man möge die europäischen Theorien zwar fleißig lernen, aber dann doch auf die eigene Kultur zurückgreifen, die viele Traditionen des Widerstands, der Auflehnung gegen die Herrscher und der unendlichen Liebe zur Freiheit habe. Sie wurden ausgelacht und in den eigenen Reihen bekämpft, nicht selten sogar verraten.
Im politischen wie im kulturellen Bereich wurde das Nachahmen zum Allheilmittel. Schriftsteller, die nicht Balzac, Hemingway, Zola oder Gorki imitieren wollten und auf die arabische Erzähltradition verwiesen, wurden als altmodisch verlacht.
– Als Student der Naturwissenschaften sprach ich mit meinen Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich vier Jahre lebte, lernte, experimentierte und forschte. Im Damaskus der sechzigerJahre hatten die Naturwissenschaftler noch die Illusion, die Befreiung der Gesellschaft sei allein durch die Technik zu erreichen.
In Heidelberg waren die Naturwissenschaftler viel nüchterner und in ihrer Mehrheit Spezialisten auf einem sehr schmalen Gebiet. Sie arbeiteten hart und kamen kaum zu Rande mit der für ihre Forschung vorgesehenen Zeit. Das zwang sie zur Eile. Ich habe Hunderte von Chemikern, Mathematikern und Physikern kennen gelernt. Und nur ein Einziger von ihnen war nicht nur ungeheuer fähig, sondern auch gelassen und weise. Er blickte in vielen Fragen mehr durch als die Professoren. Willy war ein großer Freund der Natur und ein äußerst angenehmer Zeitgenosse. Sein Lächeln war das Einzige, was an der chemischen Fakultät der Universität Heidelberg Weisheit und Ruhe ausstrahlte. Er wurde später Lastwagenfahrer und Weltenbummler. Schade für die Wissenschaft, schade für die Erde, dass solch bunte Vögel kein Nest bauen im Baum der Wissenschaft.
Weder in Damaskus noch in Heidelberg fand ein ernsthafter Dialog zwischen den Naturwissenschaften und der schönen Literatur statt.
Wie kompliziert ein solches Gespräch ist, zeigt das letztendliche Scheitern von Goethe. Goethe war ein Meister des Dialogs, ja, in gewisser Weise war er selbst ein Dialog zwischen den Disziplinen, Kulturen und Epochen. Er wollte nach eigenem Bekunden lieber für seine Wissenschaft als für seine Literatur anerkannt werden. Das blieb ihm trotz seiner Entdeckungen auf dem Gebiet der Biologie, trotz seiner redlichen Bemühungen um die Farbenlehre und trotz seiner poetisch genialen Abhandlungen, etwa über Granit, versagt. Goethe hatte eine Schwäche: Er mochte keine mathematischen Abhandlungen und mied sie deshalb. Das reduzierte zwar seineAusbeute, aber der Grund seiner Niederlage war ein anderer: Seine ganzheitliche Naturbeobachtung und -erforschung stand im Widerspruch zur einsetzenden Spezialisierung der Wissenschaften und rief die Kritiker auf den Plan. Die Anerkennung blieb aus.
Damals wie heute wurde und wird aber viel Unsinn gerade auch im Namen eines Dialogs der Disziplinen erzeugt. André Gide hat Recht, wenn er sagt: »Es ist ein Unglück, wenn Dichter nicht den leisesten Begriff von Naturwissenschaft haben.« *
Sicher beeinflusste meine naturwissenschaftliche Seite ihre literarische Schwester, sodass sich in mir das Misstrauen gegenüber allen schnellen Produkten entwickelte. Ein Chemiker, der nicht misstrauisch wird angesichts einer schnell gelungenen Reaktion samt ihrer mühelos und mit prächtiger Ausbeute erzeugten Kristalle, der ist ein armer Tropf. Er muss davon ausgehen, dass diese Kristalle, die da so verführerisch glänzen, ein längst bekanntes Produkt sind. Zweimal erwischte mich diese Fata Morgana im Laufe meiner Forschungen. Seitdem misstraue ich auch allen neuen literarischen Einfällen, bis ich sie genügend überprüft, anderen erzählt und noch einmal geschrieben habe. Und erst aus dem, was ich beim zehnten Mal formuliere, könnte ein guter Text werden.
So wird es auch mit dieser Lesung sein. Sie liegt nach Monaten der Arbeit in schriftlicher Form vor, in einer redigierten Fassung. Aber sie wird erst durch den Vortrag
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