Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
hinaus, langsamer als eine Schildkröte, und drehte mich nicht um, aber sie rief mir nicht hinterher. Dreißig Jahre lang rief mir niemand hinterher. Ich aber bin unbelehrbar geblieben, ich versuche immer noch und überall zu handeln.
EXILGESPRÄCHE
Meinem Cousin Lukianos,
auch einem Syrer im Exil, gewidmet
A ls ich vor über zwanzig Jahren die Universität Heidelberg verlassen hatte, schwor ich mir insgeheim, nie wieder an einer Universität tätig zu sein. Dieser Schwur wurde weder spontan noch aus Verzweiflung geleistet. Was die äußeren Umstände betraf, erfüllte ich damals alle Bedingungen, um nach einem erfolgreichen Studium meine Laufbahn als Forscher oder Hochschullehrer an einer arabischen oder deutschen Universität fortzusetzen. In meinem Innersten aber war ich durch die vierzehn Jahre an mehreren Universitäten endgültig enttäuscht und fühlte mich ausgelaugt. Ich hielt und halte noch heute eine solche Gemütslage für eine ausgesprochen schlechte Voraussetzung für den Start ins Leben.
Also nahm ich meine Siebensachen und ging. Ohne Abschied!
Was waren die Gründe für meine Enttäuschung? Die Antwort auf diese Frage liest sich fast wie ein Lebenslauf.
1965 ging ich mit aller Naivität an die hochmoderne Universität von Damaskus. Ich war fest davon überzeugt, das Studium der Naturwissenschaften, für das ich mich eingeschrieben hatte, und darüber hinaus das Studium der Philosophie, Geschichte und Literatur würden der Weisheit dienen, die dann meinem Volk zugute komme. Zusammen mit anderenKollegen begann ich sogleich gründlich nach Wegen zu suchen, wie wir das Wasser der kleinen Flüsse in und um Damaskus sauber kriegen könnten. Damals fingen diese an zu schäumen und zu stinken. Wir gründeten gleichzeitig eine literarische Wandzeitung und bemühten uns, in kleinen Zirkeln die alten griechischen und arabischen sowie die neueren europäischen Philosophen zu diskutieren.
Dieser Frühling dauerte nicht lange. Die Umweltgruppe wurde von Anhängern der Regierung unterwandert, lahm gelegt und abgeschafft. Der Wandzeitung machte ein Verbot den Garaus, und die interdisziplinäre Diskussion wurde durch unglaublich dumme, zur Erziehung von Papageien geeignete Prüfungen und die Vorbereitung darauf verhindert. Es vergingen keine zwei Jahre, und das Universitätsstudium wurde zu dem, wofür es leider geplant war: Es hatte nicht der Weisheit zu dienen, sondern höchstens der blinden Effektivität industrieller Produktion. Und es sollte sich als Mittel zum Regieren von Untertanen eignen.
Weder in Damaskus noch später in Heidelberg fehlte es an den technischen Voraussetzungen. Doch es mangelte hier wie dort an der Einsicht in die Notwendigkeit einer Kommunikation zwischen den Disziplinen. Diese lässt das Studium zwar langsamer in die Horizontale, dafür aber umso tiefer in die vertikale Ebene des Wissens gehen und seine tieferen Schichten, sprich Weisheit, erfahren. Dafür bringt kein Professor Verständnis auf und schon gar kein Manager der Industrie mit »gesundem Menschenverstand«. Nur ist dieser so genannte gesunde Menschenverstand kleinkariert und schaut nicht über die eigene Nasenspitze hinaus.
Wir können nämlich mit dieser atemberaubenden Zerstörung unserer Erde, ihrer Schönheit, ihrer Ressourcen und Bewohnbarkeit gar nicht mehr lange so weitermachen wie bisher.Die Erde ist endlich. Die Naturwissenschaftler scheinen aber immer noch von der Unendlichkeit der Erde überzeugt zu sein.
Ein großes Problem der Naturwissenschaft liegt im Verstehen der Zeit. Ist die Zeit nur eine Geburtshelferin der Hektik, eine gnadenlose Messeinheit, die uns unbestechlich vor Augen führt, wie wenig wir vorangekommen sind? Oder ist die Zeit ein zauberhafter Raum, in dem man wohnt und von dem aus man zu den Wurzeln aller Dinge hinuntersteigt, um wieder zum Himmel emporzusteigen? Das Wort »Zauber« ist keine lyrische Beschönigung. Wir können ihn an allen Kulturgütern wahrnehmen. Was auch immer in diesem zauberhaften Zeitraum erzeugt wurde, besiegt die Zeit und befreit sich von ihr, wird unsterblich. Die Zahlen und die Pyramiden ebenso wie ein Gedicht, die Gemälde eines Leonardo da Vinci ebenso wie das Alphabet, das die Phönizier erfunden haben.
Die Suche also nach dem zauberhaften Zeitraum führte mich hierher nach Zürich, ließ mich meinen alten Schwur vergessen. Die Anfrage seitens der E T Hkam zu einer ungünstigen Zeit. Gerade erst hatte ich alle Auftritte abgesagt und mich zurückgezogen,
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