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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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erziehen die Demokratien nicht ihre Zukunftsträger zum Zuhören, das heißt, zum Respekt vor dem anderen?
    Die Schule könnte dann zumindest den Vorwurf von sich weisen, den ihr Adorno zu Recht machte. Er nannte die Schule eine Taubstummenanstalt und traf damit den Kern, denn »während die Schulen die Menschen im Reden drillen wie in der Ersten Hilfe für die Opfer von Verkehrsunfällen und im Bau von Segelflugzeugen, werden die Geschulten immer stummer. Sie können Vorträge halten, jeder Satz qualifiziert sie fürs Mikrophon, vor das sie als Stellvertreter des Durchschnitts plaziert werden, aber die Fähigkeit miteinander zu sprechen erstickt. Sie setzt mitteilenswerte Erfahrung, Freiheit zum Ausdruck, Unabhängigkeit zugleich und Beziehung voraus. Im allumgreifenden System wird Gespräch zur Bauchrednerei.« * Vor allem könnten die Schüler anfangen zu lernen, wie man genussvoll zuhört. Redner brauchen ja gar nicht zuzuhören, Gesprächspartner aber schon. Das ist gerade der radikale Unterschied zwischen einem Gespräch und einer modernen Talkshow. Das Zuhören ermöglicht also das Gespräch, und durch das Gespräch verwandelt sich Wissen in Weisheit.
    Ich glaube nicht, dass Sokrates oder Platon mehr gewusst haben, als ein Abiturient heute weiß. Aber das, was sie wussten,vertieften sie durch unendlich viele Gespräche, die das Wissen zu einem prächtigen Baum werden ließen, dessen Wurzeln man bis zur tiefsten Tiefe folgen kann.
    Das Gespräch bestimmt mein Leben, denn in mir hat es nie aufgehört. Mein Lebenslauf ist ein Gespräch.
    – Als Aramäer sprach ich in Syrien mit Aramäern, anderen Minderheiten wie Kurden, Armeniern, Palästinensern und vor allem mit der Mehrheit: den Arabern.
    Ich gewann hierdurch zwei wichtige Erkenntnisse: Der Orient war dabei, in hastiger Nachahmung der europäischen Nationen seine Vielfalt abzuschaffen, die ein Grundpfeiler orientalischer Identität war, und in künstlichen, oft von den Kolonialherren aufgestellten Grenzen mit Gewalt eine einheitliche Nation herzustellen. Vergessen waren die Verdienste der Kurden, aus deren Reihen Saladin stammte. Vergessen waren die Verdienste meiner Vorfahren, der Assyrer, die durch ihre Übersetzungen aus dem Griechischen die erste Brücke zwischen der griechischen und der aufsteigenden arabischen Kultur bildeten. Ohne ihren Beitrag wäre den Arabern ein solch rasanter Aufstieg zur Weltzivilisation nie möglich gewesen.
    Ich erkannte aber auch die Angst der Araber, ihnen könnte eine Spaltung aufgezwungen werden. Diese Angst verhinderte bei ihnen die Gelassenheit gegenüber Forderungen seitens der Minderheit, weil ein Araber darin immer weniger die bunte Vielfalt sah als vielmehr die Gefahr einer weiteren Zersplitterung seiner Heimat.
    – Als Christ sprach ich mit den Christen verschiedener Konfessionen und den Angehörigen anderer religiöser Minderheiten wie Juden, Drusen, Yeziden und Baha’i, vor allem aber mit der muslimischen Mehrheit.
    Ich erlebte hautnah mit, wie dünn die Schicht ist, auf der diese Minderheiten ihren Alltagsgeschäften nachgehen. Sicher,die historische Erfahrung, dass die Mehrheit der Muslime jahrhundertelang ihre Minderheiten achtete, wirkte beruhigend. Doch ich musste lernen, dass auch die Angst der Minderheiten ihre Wurzeln nicht in ihrer Einbildung, sondern in der Geschichte hat. Immer wieder brachte eine extremistische Minderheit der Muslime Christen, Juden und andere Minderheiten bis an den Rand der Vernichtung. Demütigung und Entrechtung waren dann an der Tagesordnung. Manchmal genügte es, dass der Kalif aus einer Laune heraus, im religiösen Wahn oder aber aus Verfolgungs- oder Verschwörungswahn Demütigungen für nötig hielt, damit die Minderheiten zu leiden hatten. Meine Vorfahren mussten manchmal ein schweres Kreuz am Hals tragen, sich ganz besonders hässlich und auffällig kleiden und in allen Fragen Menschen zweiter Klasse sein. Das Mitleid der Mehrheit half ihnen wenig.
    Mit den Muslimen sprach ich nicht im anklagenden Ton, sondern aufklärend und ermunternd. Sie sollten im 20. Jahrhundert nicht hinter das zurückfallen, was im Jahre 750 schon an Toleranz selbstverständlich war, und sich dabei auch noch zivilisiert nennen dürfen. Zivilisation bedingt den Fortschritt im Menschenrecht. Gerade ein Christ kann den Muslimen eindringlich und glaubwürdig zeigen, dass der Islam immer dann zivilisatorisch und siegreich war, wenn er sich nach außen öffnete, wenn er die Herausforderungen von außen

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