Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
und spreche ich mit vielen anderen Ausländern und vor allem mit Deutschen. Meine Gesprächspartner waren so unterschiedlich wie meine Berufe, Wohnorte und Phasen meines Lebens. Es waren Studenten, Fabrikarbeiter, Restaurantbedienstete, Kaufhausangestellte, Bauarbeiter, Übersetzer, Doktoranden, Chemieforscher,Manager einer großen Firma, Ärzte, Assistenten, Professoren, Hoteliers, Verrückte, Journalisten, Verleger, Buchhändler, Schriftsteller, Intellektuelle, Moralisten, Gauner, Kinder, Jugendliche, alte Frauen und Männer, Kranke, Einsame, Drogenabhängige, Bankdirektoren und Pfarrer.
– Als Ausländer sprach und spreche ich mit Freunden und Scheinfreunden der Ausländer.
– Als Schriftsteller im Exil sprach und spreche ich mit anderen Exilanten und vor allem mit braven, gehorsamen Landsleuten.
– Als Araber sprach und spreche ich mit Arabern und Juden.
– Als Ehemann einer interessanten Künstlerin und Schriftstellerin befinde ich mich permanent in einem Gespräch mit ihr.
– Als Vater schließlich sprach und spreche ich mit meinem Sohn und seinen kleinen und großen Freunden.
All meine bisherigen Gespräche beeinflussten meine Gedanken, meine Geschichten, denn ich bin davon überzeugt, dass ein guter Erzähler ein ausgezeichneter Zuhörer sein muss. Nur genaues Zuhören bewahrt uns vor der weit verbreiteten Unsitte, andere zu langweilen.
* Theodor W. Adorno, Minima Moralia . Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1964, S. 179.
* Walter Benjamin, Gespräche mit André Gide, Angelus Novus , Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1966, S. 396.
* In: Zwischen Fabrik und Bahnhof , Bremen: Con-edition, 1981, S. 58.
** In: Rafik Schami, Root Leeb, Die Farbe der Worte. Cadolzburg: ars vivendi, 2002, S. 33 ff.
* Walter Benjamin, Der Stratege im Literaturkampf , Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1974, S. 21.
* Paul Valéry, Eupalinos. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 1973, S. 68 ff.
* Hadi al Alawi, Fusul ’an al Mar’. Beirut: Dar al Kunus al Adabije (arabisch), 1996, S. 134.
ÜBER MISSVERSTÄNDNISSE
1.
Bis heute noch weiß ich, wie groß meine Enttäuschung war, als ich am 20. März 1971 am bescheidenen Heidelberger Bahnhof ausstieg und in einer wackligen kleinen Straßenbahn zum Studentenwohnheim fuhr.
Ich dachte, ich würde nun, aus Damaskus kommend, in einer supermodernen Stadt leben, deren Hochhäuser sechsspurige Autobahnen säumen und von Hubschraubern umschwirrt werden. Der Himmel über Heidelberg war still und blau, fast mediterran, eine Amsel hüpfte auf der Wiese neben einem mümmelnden Kaninchen, und in der Nähe lärmten Enten im Neckar. »Schau dir diese Tiere an«, sagte mir ein Syrer, der auch vor drei Tagen angekommen war, »sie sind mutig wie die Deutschen. Unsere Tiere sind feige. Sobald ein Mensch auftaucht, flüchten sie.«
Ein Erpel musterte uns misstrauisch, als könnte er unsere Gedanken lesen, in denen Feuer und Pfanne die Hauptrolle spielten.
2.
Sprache ist in gewisser Hinsicht eine Brille, die den Blick schärft. Je besser ich Deutsch konnte, umso deutlicher wurden mir die Konturen der deutschen Vorurteile. Ein Massiv, gegen das das Matterhorn wie ein sanfter Hügel erscheint.Mein Nachbar im Studentenheim hieß Fritz und war nur durchschnittlich gebildet. Er erzählte mir ungefragt von einem »Orient«, wie ich ihn nie erlebt hatte. Fritz wusste genaue Details vom Leben der Orientalen, von ihrem Charakter, ihren Frauen und ihren krummen Säbeln, und ich begriff nur langsam, dass er mir von seinen Sehnsüchten erzählte. Er war in einer vornehmen protestantischen Familie aufgewachsen. Sein Vater war ein hoher Manager bei der Lufthansa, seine Mutter eine strenggläubige Protestantin. Fritz’ Kindheit verlief streng nach der Uhr. Alles wurde mit Minutenpräzision geplant und durchgeführt, vom Aufstehen bis zum Einschlafen. Sprachlosigkeit und Kälte herrschten unter dem Dach der Villa im Taunus. Fritz’ Zimmer im Studentenheim dagegen hatte ein äquatoriales Klima. Der Orient, das waren Weichheit, Faulenzen, Reichtum und vor allem üppige Frauen wie von Delacroix. Der einzige Jammer für Fritz war: All das wurde von blutrünstigen Männern überwacht – deshalb hasste er die Araber.
Aber auch Fritz konnte mir nie genau sagen, wo sein Orient lag. Er hatte eine Prise arabischen Reichtums, einen Hauch persischer Farbigkeit, eine Hand voll osmanischer Haremshäuser, eine Messerspitze indischer Sanftheit, dazu kamen Kamele, Palmen und eine Sonne, die dauernd am Untergehen war, und eine
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