Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Entscheidung über Leben und Tod. So manches Gespräch war wie ein Gang durch ein Minenfeld.
In der Diktatur gibt es keinen öffentlichen Dialog. Es werden aber massenhaft Scheindialoge produziert. Die Grundbedingung eines echten Dialogs ist das Recht des anderen auf eine Gegenmeinung. Die Demokratie ist also eine Geburtshelferin des Dialogs. Aber auch sie muss ihre Eignung für den Dialog unter Beweis stellen. Diese Eignung wird daran gemessen, wieweit die Demokratie imstande ist, nicht nur den Mächtigen immer mehr Kanäle für ihre Stimme bereitzustellen, sondern inwieweit sie die Gegenmeinung zu Wort kommenlässt.
In der Diktatur stellte sich täglich die Frage: Wie puristisch, wie kompromisslos muss man gegenüber der Zensur sein? Was ist besser: den Mund zu halten oder drei Viertel der Wahrheit zu veröffentlichen in der Hoffnung, die Leser werden die fehlenden Puzzleteile schon erahnen? Es war nicht immer leicht, die richtige Antwort zu geben. Und im Exil darf man alle Rollen spielen, nur nicht die eines Richters über die Daheimgebliebenen.
– Als Kriegsgegner sprach ich mit anderen Kriegsgegnern, mit Patrioten und nationalistischen Idioten. Es erübrigt sich fast zu sagen, dass eine überwältigende Mehrheit der arabischen Bevölkerung gegen den Krieg ist und einfach nur leben will. Doch die Gegend ist viel zu reich, um dort den Frieden genießen zu dürfen. Kriegstreiberei von außen reicht aber als einziger Grund für eine vernünftige Erklärung nicht aus. Im Orient hat man es inzwischen verlernt, Konflikte auf friedlichem Weg und kompromissbereit zu lösen. Man griff jedes Mal sofort zur Waffe, versprach der Bevölkerung einen baldigen leichten Sieg und zerstörte Leben und Ressourcen. Gespräche wurden schon lange keine mehr geführt. An allen Grenzen entbrannte eine Sehnsucht nach dem Tod, der Schattenschwester der übertriebenen orientalischen Liebe zum Leben.
In einem Regime, in dem ein Menschenleben nicht viel gilt, war Krieg die beste Möglichkeit, interne Konflikte und Krisen zu ersticken. Manche arabischen Länder werden seit ihrer Gründung mit der Gewalt des Kriegsrechts regiert. Das Kriegsrecht aber ist menschenfeindlich.
Der Krieg als einzig möglicher Weg im Umgang mit anderen wurde nicht nur von konzeptlosen Herrschern zur Legitimation ihrer Repression gefördert, sondern leider auch von vielen unserer aufgeklärten Intellektuellen akzeptiert, ja auchpropagiert. Damit waren sie in diesem heiklen Punkt nicht Feinde, sondern Helfer der Ideologie des Herrschers. Sie waren seine Hofdenker und Dichter, und das hat leider im zentralistischen arabischen Reich eine lange Tradition.
Schon damals fing ich an, das Gespräch unter Feinden zu suchen. Es war mein Abenteuer, das mir gefahrvolle Momente und unglaublich schöne Erfahrungen schenkte. Ich stellte mir die Frage: Was genau hindert zwei Feinde, miteinander ein vernünftiges Gespräch zu führen? Bald fand ich heraus, dass ich konkret vorgehen musste, um darauf eine Antwort zu erhalten, auch wenn sich das alles nur in meinem Kopf abspielte. Ich beschloss, als Gedankenspiel, einen Araber und einen Israeli einander gegenüberzustellen, sie jedoch aus ihrer jeweiligen Umgebung zu befreien. Ich hatte nämlich festgestellt, dass im Orient die fehlende Demokratie in vielen arabischen Ländern, der kollektive Druck, der den eigenen Willen deformiert, die fehlende Distanz zu den Orten mythischer und historischer Erinnerung Elemente der Auseinandersetzung unter Feinden verfälschte. Ich wollte wissen, vor welchen weiteren Hindernissen zwei von diesen bedrückenden Zwangsjacken befreite Feinde standen. Die Antwort darauf konnte ich erst durch jahrzehntelange Beobachtung und Diskussionen mit Juden und Arabern gewinnen. Sie lautet: Angst.
Angst bestimmt nicht selten Verlauf und Ergebnis einer Kommunikation zwischen Menschen, deren Gemeinschaften eine vorübergehende oder anhaltende Feindseligkeit gegeneinander hegen. Sie wirkt destruktiv und richtet sich gegen alle Vernunft. Sie entspringt aber dem Urtrieb des Selbsterhalts und Überlebens.
Angst nährt sich von der Erinnerung und verfälscht sie zugleich. Und sie ist es, die eine Gesellschaft zusammenschmiedet und zugleich auseinander treibt.
All diese Erkenntnisse, die im Exil Gestalt annahmen, hatten ihren Anfang in Damaskus. Dort wurde mir langsam klar, dass der Krieg gegen Israel nur Zerstörung für beide Seiten gebracht hat und weiter bringen wird. Will man den Krieg verhindern, so muss man
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