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Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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heute, erst in den nächsten Tagen und Wochen ihren letzten Schliff erhalten.
    Das ist wirklich nur die Chemikerhälfte in mir, die mich so verfahren lässt. Die andere Hälfte ist nämlich faul undwill am liebsten gar nichts vortragen, sondern irgendwo sitzen, Tee trinken und angenehm über philosophische Themen plaudern.
    Die jahrelange Beschäftigung mit der Chemie hilft mir wohl beim Schreiben, aber die Ergebnisse meiner Bemühungen, meine naturwissenschaftlichen Forschungen auch inhaltlich in meine literarischen Texte einfließen zu lassen, sind mager, mein Scheitern wiegt Berge. In über dreißig Jahren Tätigkeit sind mir zwei winzige literarische Produkte gelungen, die eine gewisse, wenn auch pessimistische Vision von der Technik enthalten. Einmal die Geschichte Andalusien liegt vor der Tür * , geschrieben 1979, zu einer Zeit also, als ich noch im Chemielabor forschte. Sie hat den damals unbekannten Cyberspace zum Inhalt.
    Der zweite Text, Das zukünftige Buch ** , ist eine negative Vision von einem elektronischen Buch, das mithilfe von Geräuschen und Gerüchen atmosphärisches Lesen ermöglicht. Es kann an gewissen Automaten mit Literatur oder Texten aus der Naturwissenschaft und Philosophie getankt werden.
    Mit einem Pharmaroman und vielen kleineren Geschichten bin ich gescheitert. Nicht allein der Wille zum Guten und Ehrlichen ist häufig der Totengräber solcher Versuche, sondern es gibt auch eine objektive Schwierigkeit: Gerade die beste Eigenschaft der naturwissenschaftlichen Sprache – ihre Eindeutigkeit – ist für die Literatur tödlich.
    Nur wenigen ist es gelungen, eine Brücke zu schlagen zwischen beiden Töchtern der Weisheit, der Naturwissenschaftund der Literatur. Diese wenigen hinterließen wunderbare Werke. Einen Roman wie Das periodische System von Primo Levi kann nur ein Chemiker geschrieben haben. Auch Benns Satz »Am Anfang war das Wort und nicht das Geschwätz« kann nur von einem trotzigen Naturwissenschaftler stammen.
    Doch die Ausbeute an solchen Perlen ist mager. Lange muss man suchen, um zehn geniale Grenzgänger von der Größe eines Jules Verne oder H. G. Wells aufzutreiben.
    Trotzdem lohnt sich auf beiden Seiten der Mut, die Grenze zu überwinden. Man muss nicht Goethes hartes Urteil teilen, wonach die Deutschen die Kunst beherrschen, die Wissenschaft unzugänglich zu machen. Aber man muss manch einen Naturwissenschaftler fragen dürfen, ob er schreibt, um Inhalte zu erklären oder um diese zu verbergen.
    Die Grenze der Zugänglichkeit von Wissen hat Walter Benjamin zutreffend beschrieben: »Man darf sagen, daß jede popularisierende Arbeit verloren ist, die eine solche Fühlung der Laien mit der Vorhut nicht herzustellen vermag.« *
    Das alles ist aber nur die eine Seite der Beziehung zwischen beiden Töchtern der Weisheit. Die zweite Seite ist alltäglicher und für Schriftsteller und Naturwissenschaftler leichter zugänglich. Auch wenn es bedauerlich ist, dass nicht jeder Schriftsteller für das naturwissenschaftliche Denken geeignet sein kann: Etwas von der Logik, der Beharrlichkeit, der Geduld, der Skepsis und nicht zuletzt der Präzision eines Naturforschers schadet keinem literarischen Werk. Ein Naturwissenschaftler andererseits muss nicht unbedingt Nerudas Poesie, Paganinis Violine oder die Farbigkeit eines Matisse bieten. Aber sein Werk darf sich nicht mit den auch noch sofleißig erarbeiteten Ergebnissen erschöpfen. Auch das Produkt eines Naturwissenschaftlers muss allein oder als Teil eines Ganzen im Menschen den Klang und die Begeisterung erzeugen, zu denen nur Kunstwerke fähig sind. Paul Valéry formulierte in seinem Dialog Eupalinos diesen Gedanken genau: »Während der Arbeit am Bau verließ er nicht den Werkplatz. Ich glaube, er kannte jeden Stein. Er überwachte die Genauigkeit ihrer Behauung; er studierte auf das eingehendste alle Mittel, die man erfunden hatte, daß die Kanten sich nicht überschneiden und daß die Sauberkeit der Fugen nicht leide … Aber alle diese Feinheiten … waren eine Kleinigkeit im Verhältnis zu denen, die er gebrauchte, wenn es sich darum handelte, die Erregungen und Schwingungen vorzubereiten, die in der Seele des künftigen Betrachters seines Werks entstehen sollten.« *
    – Als Literat sprach ich in Damaskus mit Schriftstellern, Journalisten, Redakteuren und Lesern. Angst und Misstrauen beherrschten diese Gespräche. Die Frage, ob man Vertrauen zum Gesprächspartner haben konnte, war nicht müßig und ihre Antwort eine

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