Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Nacht, die 1001 Abenteuer versprach. Alles mit einer Sinnlichkeit vermengt, die kein Volk aushalten könnte. Komischerweise findet man Fritz’ Phantasien bereits im Mittelalter.
3.
Sonja, meine erste Freundin, studierte Medizin. Sie fragte mich nach drei Monaten leidenschaftlicher Liebe fast schüchtern, ob ich auf sie mit dem Messer losgehen würde, wenn sie sich in einen anderen verlieben würde. Ich verstand sie nicht, obwohl mein Deutsch fast perfekt war. Sie wiederholte geduldig ihre Frage, und ich dachte fünf Sekunden lang daran, sie, so nackt, wie sie neben mir lag, hinauszuführen, ihr die Kleider nachzuwerfen und die Tür von innen zuzusperren. Aber ich entschied mich für den zivilisierten Sarkasmus: »Nein, ich nehme kein Messer, sondern meine Kalaschnikow. Das ist sauberer.«
Sie lächelte blass.
Tage später saßen wir zu dritt in einem Café. Nach einer langen Diskussion waren Fritz und Sonja der Meinung, ich sei kein richtiger Orientale. »Warum?«, fragte ich. »Weil du immer ruhig und pünktlich bist und lange überlegst, bevor du eine Antwort gibst«, sagte Fritz sicher. Er habe andere Orientalen kennen gelernt, die dauernd aufbrausen würden, »und wenn sie lachen, da wackelt die Bude. Und Termine kennen die Brüder nicht«.
Ich lachte Tränen.
Eine Woche später verließ ich Sonja. Wir fuhren mit der Straßenbahn, und draußen war Heidelberg friedlich. »Hat dein Vater ein Kamel?«, fragte sie in die Stille. »Nein, einen Fiat«, antwortete ich und stieg in jeder Hinsicht aus. So viel Dummheit verursacht Magenkrebs, dachte ich und erinnerte mich an die Lektüren in Damaskus: Brecht, Heine, Thomas Mann, Marx, Engels und Hegel, den ich auf Arabisch nie verstanden und auf Deutsch langweilig gefunden habe, und ich erinnerte mich an die Bilder von Rudi Dutschke undDaniel Cohn-Bendit, die 1970 in meinem Damaszener Zimmer hingen.
Meine Nachbarin, die durch fünf Last-Minute-Flüge die Welt von der Domrep (der Dominikanischen Republik) bis zur Türkei bereist hat, ohne eine einzige Sprache zu beherrschen, findet alle Völker gastfreundlich und höflich. Und ich bin sicher, 99 Prozent der Araber werden Fritz und Sonja schön und freundlich finden, solange sie nicht verstehen, was sie sagen. Wissen trennt.
4.
Meine Mutter wiederholte immer wieder: »Wer in Damaskus länger als sieben Jahre wohnt, wird von der Stadt bewohnt. Das haben Städte an sich, die älter als 7000 Jahre werden. Sie verwandeln sich in Feen, die sich im Herzen einnisten, und sobald man die Stadt verlässt, verdirbt die Fee dem Exilanten jeden Genuss, indem sie sich mit den Worten meldet: In Damaskus schmeckt das besser.«
Ich bin von der Stadt besessen. Ich habe 25 Jahre in ihr gelebt. Sie ist die schönste Stadt der Welt; »gewesen, gewesen«, rufen die Syrer, die oft nach Damaskus fliegen. Ich bin seit Jahrzehnten nicht da gewesen. Und sie erzählen von dem Vier-Millionen-Moloch. »Die Stadt«, sagte mir Samir, »ist stickig, laut und korrupt.«
»Ihr seht euer Damaskus, und ich sehe das meinige«, antworte ich immer, weil ich meine Erinnerung als Rettungsfloß im Ozean der Fremde brauche.
5.
So wie ich nun nach 33 Jahren angepasst pünktlich zum Bahnsteig gehe und nie wieder einem Bus- oder Straßenbahnfahrer winke, damit er anhält, so veränderten sich auch die Deutschen in dieser Zeitspanne. Nicht zuletzt durch uns!
Damals habe ich meinen Eltern geschrieben: »Zwanzigjährige Deutsche halten das Wort Artischocke für eine spezielle Folter durch Schock. Die Händler wickeln die Auberginen einzeln in Cellophan. Die Wassermelonen werden in Achteln verkauft, und Knoblauch zählt hier zu den übelsten Unhöflichkeiten.«
Meine Eltern schickten von nun an zweimal jährlich große Pakete mit Leckereien aus Damaskus.
Heute ist die Qualität exotischer Gemüse und Früchte in
Deutschland besser als die in den Ursprungsländern. Und was für die Melone gilt, gilt auch für die Kultur. …
Wer mir sagt, die Deutschen sind schlechte Schüler, dem fehlt die Beobachtungsgabe. Auch das andere kriegen wir noch hin, den Deutschen zu erklären, dass sie im Paradies leben und dass sie die Einzigen sind, die das noch nicht wissen. Gewiss, ein »Relativ-Paradies«, aber immerhin.
Man muss nur Geduld mit den Deutschen haben.
DIE WUNDERPILLE IST ZUHÖREN
Bemerkungen über Erkrankungen in der Fremde
Für Rosmarie Meier
B evor ich anfange, möchte ich Ihnen eine wahre Geschichte mit einer einzigen
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