Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Wunde, lässt sie vernarben, und die Heimat verwandelt sich in eine Nische der idyllischenErinnerungen. Das Noch-nicht-Ankommen verlängert den Schmerz, hält die Wunde offen, streut Salz hinein, macht es unmöglich, das Grundbedürfnis der Menschen nach Verwurzelung zu befriedigen.
Millionen von Menschen sind weltweit auf der Flucht, sei es aus politischen, kriegerischen oder ökonomischen Gründen. Europa spürt die Vorboten einer weltweiten Völkerwanderung und reagiert repressiv mit verschärften Einreisebestimmungen und Ausländergesetzen. Als ob die Laschheit der europäischen Verordnungen und Gesetze die Ursache der Wanderung sei! Die Ursache ist komplexer Natur. Einfach kann die Lösung nicht sein.
Schauen wir uns die wenigen Fremden etwas näher an, die nach Europa gelangen. Sicher, sie haben sich körperlich vor Krieg, Hunger und Folter gerettet, doch ihre Seelen verkümmern, weil sie hier zu Almosenempfängern wurden und sich nicht entfalten können. Sie werden damit leben müssen, dass sie machtlos sind gegenüber all den Entscheidungen, die ihr Leben betreffen. Die Ohnmacht kränkt und macht krank.
Man möge nicht übereilt protestieren, dass auch die Mehrheit der Einheimischen machtlos sei. Das ist wahr und eine Art Fremdheit im eigenen Land. Aber der Fremde erlebt Kränkungen, die dem Einheimischen erspart bleiben.
Wenn man in diesen Breitengraden hier von Fremden spricht, meint man die Angehörigen des Südens. Selten bezeichnen Schweizer, Deutsche und Österreicher mit dem Begriff Ausländer Schweden oder Dänen. Die Südländer sind in der Regel dunkelhäutig. Assoziationen mit der Farbe Schwarz, die in den Köpfen der hiesigen Menschen entstehen, sind durch den Kolonialismus negativ vorbestimmt. Alles Böse, Unheimliche, Bedrohliche, Gefährliche ist dunkel. In den altenMärchen und auch den meisten Kriminalfilmen und Western von heute ist der Dunkle immer der Böse, der Mörder. Schauen wir uns doch nur einige rassistische Selbstverständlichkeiten der deutschen Alltagssprache an: Schwarzhandel, schwarzfahren, ein schwarzer Tag, Schwarzarbeit, das schwarze Schaf der Familie, schwarz über die Grenze gehen und so weiter und so fort.
Kränkungen sind für einen Fremden an der Tagesordnung. Das ist für Angehörige der Mehrheit in einem Land so unvorstellbar wie für die Mehrheit der Männer die unendlich vielen Gefahren, die den Weg einer Frau begleiten, wenn sie abends von ihrer Arbeit nach Hause am Rande der Stadt mit dem Rad fährt.
Sagen Sie nicht, Sie wissen Bescheid über die Kränkungen der Fremden, schieben Sie diese höchst raffiniert getarnte Sperre vor Ihren Augen weg und hören Sie den Fremden zu, wenn sie von Kränkungen, ihrem täglichen Brot, erzählen.
Und Kränkung – das weiß die Psychologie – ist am schlimmsten dort, wo man darauf nicht reagieren kann.
Die geschluckte Kränkung macht krank.
Die Kränkung eines Fremden ist vorprogrammiert. Aber die Kränkung fängt viel früher an, auch ohne Rassismus, ohne Provokation, unspektakulär. Im Leben eines Fremden gibt es einen bitteren Augenblick der Erkenntnis. Kurz nach seiner Ankunft begreift er, dass die mitgebrachten Werte im Gastland wenig oder gar nichts gelten. Alles, was ihn ausgemacht hat, gilt auf einmal nicht mehr. Die Sprache, dieser wunderschöne vertraute Gesang der Münder in der Heimat, erstirbt, stattdessen hört er nun eine seltsame Sprache, die er nicht versteht. Wer den Mut dazu hat, wird feststellen, dass kaum etwas, was ihm teuer und wichtig ist, hier noch gilt. Gastfreundschaftund Nachbarschaft haben mit einem Mal einen völlig anderen Platz auf der Werteskala.
Auch hat man sich als Fremder ganz anders zu fühlen und in der Öffentlichkeit zu gebärden. Man hat anders zu essen, zu trinken und sich an der Bushaltestelle zu verhalten, anders zu trauern und sich zu freuen, anders jemanden zu begrüßen, anders jemanden zu besuchen oder besucht zu werden, anders zu mieten und einzukaufen. Nicht einmal krank sein kann man auf die gleiche Weise.
Zu alldem kommt das Gefühl der Verlassenheit und die Überzeugung, dass man wieder ganz von vorne anfangen und zu einem kleinen Kind werden muss, um all die Spielregeln der Gastgesellschaft zu erlernen. Doch der Mehrheit der Fremden bleibt dieser Weg verschlossen.
Nicht selten reagieren die Fremden mit Überanpassung, um aus der Einsamkeit, aus der Belagerung auszubrechen. Sie wollen sauberer, pünktlicher, emanzipierter und fleißiger sein als die
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