Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick

Titel: Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
Vom Netzwerk:
Beziehung zum Buch fing sehr früh an. Zu den ersten Bildern, die sich in mein Gedächtnis einprägten, gehört das meines Vaters. Täglich las er im Schneidersitz in einem großen Buch, das vor ihm auf einem Schemel lag. Er sei ein sehr lebenslustiger Mann in seiner Jugend gewesen, erzählte meine Mutter. Der Kampf gegen seinen Vater hatte ihm jedoch Lachen und Leichtigkeit geraubt. Er verhärtete und wurde sehr religiös, wortkarg und jähzornig, doch sobald er vor einem Buch saß, strahlte sein Gesicht in einer seltsamen Seligkeit, wurde glatter, jugendlicher. Er schien seine Umgebung zu verlassen. Als kleines Kind näherte ich mich ihm in solchen Stunden und streichelte ihm die Hand, und er zog sie nicht zurück, wie er es sonst tat. Ich hatte das Gefühl, er fühlte meine Hand kaum, und ich fragte ihn, ob das stimme. Er nickte. »Und warum?«, fragte ich.
    »Der Text nahm mich mit«, sagte er.
    Das war es also. Ein Zauber kommt aus dem Buch und verwandelt diesen Löwen, meinen Vater, in einen sanften Menschen,den man ohne weiteres streicheln kann. Ich glaubte damals fest an diesen Zauber.
    An diesem Glauben hat sich bis heute nichts verändert. Aber damals wollte ich nicht nur lesen, ich wollte selbst diese Zauberbücher machen, und damit habe ich mich auf ein lebensgefährliches Abenteuer eingelassen. Das selbstverständliche Recht eines Menschen, frei eine Geschichte, ein Gedicht oder allgemein seine Gedanken anderen zugänglich zu machen, war und ist in meinem Land unter der Herrschaft der Militärregime verboten, die Syrien seit dem ersten Putsch 1949 mit absoluter Gewalt unterjochen. Freiheit und Demokratie sind seit damals Feind Nr. 1 der Regierungen, und sosehr die arabischen Herrscher zerstritten waren und sind, in einem sind sie sich alle einig, dass Freiheit und Demokratie für Sippe, Religion, Partei und vor allem im Kampf gegen Israel schädlich sind. Ich aber hielt an meinem naiven Glauben fest und musste dem mächtigen Diktator ausweichen. Ich bin heute meinem Exil in Deutschland und der deutschen Sprache dankbar, die mir eine Heimat gegeben hat. Denn obwohl mein Verlust groß war, habe ich meine Zunge gerettet.
    Mein Schicksal ist aber mit dem mehrerer tausend arabischer Intellektueller auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, die sich keiner Diktatur unterworfen haben. Und das Traurige ist, die Beraubung der Freiheit ist kein Ausrutscher eines launischen Diktators, sondern eine systemimmanente Erscheinung der arabischen Gegenwart, deren Wurzeln tiefer liegen. Wagen wir eine kurze Reise zu dem Ursprung.
     
    Das Wort
     
    Um die heutigen Araber zu verstehen, muss man etwas zurückgehen. Die Wüste prägte als Urheimat die Menschen, sie nahm im Positiven wie im Negativen Einfluss auf ihre Kultur. Und sosehr sich Araber heute hinter Anzug und Handy tarnen, die Wüste trägt jeder von ihnen noch tief im Herzen. Und es war die Wüste, die in den Arabern eine unvergleichliche Liebe zum Wort und seinem Klang erzeugte.
    Das Wort Gottes wurde im europäisierten Christentum zu »Fleisch«, zu Jesus. Im Islam ist das Wort Gottes zum Buch, zum Koran, geworden. Hier liegt eines der eindrucksvollsten Zeugnisse der Verehrung des Wortes bei den Arabern.
    Die arabische Sprache ist das Herz des Islam. Sie war das Medium, durch das Gottes Wort zu den Menschen kam: »Wir haben ihn als arabischen Koran herabgesandt« (Sure 12, Vers 2). Zugleich ist ebendiese Sprache das Fundament der Annäherung zwischen Christen und Muslimen in Arabien. Meines Erachtens war die arabische Sprache das Rettende für die Identität der christlichen Araber. Es ist daher kein Zufall, dass Fundamentalisten das Arabische hassen und die Sprache herunterspielen und die von den Nationalisten besungene Nähe aller Araber unabhängig von ihrer Religion als künstlichen, von Ungläubigen erfundenen Betrug beschimpfen, denn sie betonen nicht ihre arabische, sondern ihre islamische Zugehörigkeit; insofern musste die CIA nicht viel Überzeugungsarbeit leisten, um arabische Islamisten nach Afghanistan zu locken.
    Was die arabische Sprache schwächt, ist ihre Lähmung gegenüber der Zeit. Die Grammatik ist seit dem Koran festgelegt, und es gibt keinen Reformer, der den Mut hat zu sagen: »Die Sprache des Korans ist göttlich, und sie soll ihre Form biszum Ende der Welt behalten, aber lasst uns das profane, menschliche Arabisch mit den Bedürfnissen der Zeit in Einklang bringen.«
    Bis heute gibt es keine einheitliche Arabisierung der

Weitere Kostenlose Bücher