Damaskus im Herzen.. - und Deutschland im Blick
Dach an mir vorbeiraste und auf ein anderes Auto prallte. Die Insassen beider Autos waren auf der Stelle tot.
Nach fünfundzwanzig Jahren kenne ich nun viele Fallgruben, Sackgassen, tödliche Ecken, aber auch freundliche Nischen meines Exils. Ich habe sie markiert und viele Gänge mitSchildern versehen, damit ich mich nicht nur zurechtfinde, sondern meine knappe Zeit auf Erden nicht durch sinnlose Wiederholung verliere. Zeit ist der höchste Preis, den ein Schriftsteller für seine freiwillige Disziplin bekommt.
In meinem Labyrinth werde ich oft von einer Fata Morgana heimgesucht, die die unbesiegbare und allgegenwärtige Herrscherin in meinem Irrgarten ist. Sie ist in jedem Regentropfen, in jedem nach Kardamom duftenden Kaffee, in jedem Windhauch und blauen Himmel, in jedem Telefongespräch mit Damaskus, und sie meldet sich sofort, wenn ich mit ihr nicht mehr rechne. Die Fata Morgana meines Labyrinths heißt: »Ausgang«. Und sie rückt manchmal so nahe, dass ich Damaskus fast sehe. So viel Sehnsucht erweckt sie, und genauso viel Bitterkeit lässt sie zurück, wenn der Weg in eine Sackgasse, einen anderen endlosen Gang dieses gewaltigen undurchdringlichen Labyrinths mündet.
Nachdem ich alle Hürden bis zu meinem Exil ein für alle Mal überwunden habe, renne ich immer noch im Labyrinth des Exils umher, habe oft das Gefühl, einzelne Hürden hinter mir zu haben, die sich mir unversehens und jederzeit in einem der vielen Gänge aufs Neue in den Weg stellen können.
Aber hier bin ich angelangt und muss nun gestehen, ich bin weder Kinder- noch Jugendbuchautor. Ich bin Erzähler, und ein mündlicher Erzähler wie ich lernt sehr früh die Regel, vor allem wenn Kinder oder Jugendliche dabei sind, nicht zu langweilen. Kinder sind nicht nur die besten Zuhörer. Ich glaube, die erste Geschichte ist von einem Kind erfunden worden. Nur ein Kind kann Welten und Zeiten, Wunder und Wirklichkeit miteinander versöhnen. Nur Kinder können Gott nachahmen und aus dem Nichts Welten erschaffen. Kleine Götter können sie sein.
Welche Ehre empfinde ich manchmal, wenn einer mich Kinderbuchautor nennt, welche Freude!
Daher werden Sie verstehen, warum ich kein Verständnis für Verächter dieser Literatur habe. Und wenn Sie mir erlauben, gebe ich Ihnen den Rat: Glauben Sie keinem, der für die Zukunft der Menschheit eintritt und Kinderliteratur verachtet. Er ist einer dieser Schnösel der wohlhabenden Gesellschaft, die über Zukunftsprobleme parlieren, aber in der Tiefe ihrer Seele Menschenverächter sind. Wer Kinderliteratur verachtet, verachtet Kinder, die Zukunft der Menschheit.
Kinderliteratur, die ich liebe, ist lehrreich, ohne zu belehren, zeigt nicht den Weg, sondern Wege, deshalb kommt sie ohne erhobenen Zeigefinger aus. Vor allem aber kitzelt sie mit der Leichtigkeit einer Feder das Lachen der Kinder hervor, das Berge versetzen kann. Leichtigkeit ohne Seichtheit ist das Problem und zugleich dessen Lösung in der Kinderliteratur.
Oft höre ich Unkenrufe über die Zukunft der Kinderliteratur in diesem Land. Ich bin ein »Peptimist«, um mit Emil Habibi zu sprechen, einer, der, von seinem Pessimismus gepeitscht, alles macht, um den Optimismus zu ermöglichen. So gut wie in den letzten Jahren war die Kinderliteratur noch nie. Es gibt mehrere Gefahrenmomente, doch es gibt keinen Anlass für Niedergeschlagenheit.
Im Vergleich zu anderen Ländern sind wir hier im Paradies der Kinderliteratur, und ich kann meine deutschen Freunde nicht genug daran erinnern, dass Paradiese isoliert betrachtet oft so öde wirken, dass man sie bald für die Hölle hält, erst durch Vergleich mit anderen Höllen und Paradiesen wird das eigene richtig eingeschätzt.
In Arabien, einer Gegend, in der Kinder und alte Menschen im Zentrum der Liebe und Achtung standen, wurde diejahrtausendalte Erzählkultur innerhalb dreier Dekaden zerstört. Die Qualität der arabischen Kinderbücher ist miserabel und der Erzählstoff oft aus dem Ausland unkritisch importiert. Fernsehen ist heute die dominierende Quelle der Erzählungen. Durch den Satellitenempfang sind die Kinder imstande, über hundert Programme des gesamten Horror- und Pornospektrums zu empfangen, und dies noch bevor sie einen einzigen Buchstaben gelesen haben. Fügt man hinzu, dass die arabische Kultur ein Übergewicht an Wortkultur hat und kaum Erfahrung mit Bildern besitzt, so kann man sich den Sturz der arabischen Kinder in die bodenlose neue Schnellbilderkultur vorstellen.
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