Damenschneider
bei dem Militärputsch nach Deutschland emigriert.«
»Dann sind Sie also in Deutschland geboren?«
»Nein, wie charmant Sie sind …«, lachte sie guttural. »Natürlich nicht, ich war damals schon drei Jahre alt.«
»Ich hatte mich schon über ihr perfektes Deutsch gewundert. Und was machen Sie in Wien?«
»Nach meinem Abitur in Hamburg bin ich nach Wien umgezogen, um hier Gesang zu studieren.«
»Und warum hat das nicht geklappt? Ich kann mir gut vorstellen, dass Sie auf der Bühne einen großen Eindruck machen.«
»Wie charmant er ist«, gurrte sie wieder, vor Vergnügen glucksend. »Im Endeffekt erwies sich mein Stimmchen als ganz hübsch, aber definitiv zu klein für eine Opernbühne. Da ich mich jedoch schon immer für die klassische Musik interessiert habe, habe ich einige Male als Ferialpraktikantin beim ORF gejobbt. Als ich mich nach meinem Abschluss nach irgendeiner Arbeit umgesehen habe, die mit Musik zu tun hatte, – die Illusion einer Gesangskarriere hatte ich da schon aufgegeben, – bot man mir glücklicherweise beim Rundfunk eine Stellung als Klassikredakteurin an. So lernte ich schon bald auch Ingrid kennen, die Mutter von Florian.«
»Und sind Sie der gleichen Meinung wie Elisabeth, dass ihr Tod nicht natürlich war?«
Gerade in dem Moment kam der Ober mit den bestellten Bieren an ihren Tisch.
»Trinken wir auf Florian und sein gelungenes Konzert«, sagte Clara, ihr Glas erhebend.
»… und darauf, dass wir uns dabei kennen gelernt haben«, antwortete Walz mit bedeutungsvollem Lächeln.
Jegliche Hemmung, die ihn bei jeder Begegnung mit Elisabeth stets befallen hatte, war angesichts der sinnlichen Erscheinung von Clara völlig verschwunden. Insgeheim hatte Walz es schon seinem Alter von 43 Jahren zugeschrieben, dass er wohl langsam dazu verurteilt sei, nur noch von den Erinnerungen an seine längst vergangenen Eroberungszüge zehren zu müssen.
»Und wie fühlen Sie sich hier in Wien?«, fragte unser Held vorsichtig, der natürlich unbedingt erfahren wollte, ob seinen aufkeimenden Plänen etwas Essentielles im Wege stünde. Dies direkt zu hinterfragen, verboten ihm freilich die ungeschriebenen Gesetze des Flirtens.
»Am Anfang war es nicht ganz einfach. Es dauert schon seine Zeit bis man in der Wiener Gesellschaft angekommen ist, als lateinamerikanischer Piefke«, erwiderte sie lachend, während ihre höchst bemerkenswerten grüngelben Augen aufblitzten, »aber inzwischen, nach schon immerhin bald 20 Jahren, fühle ich mich hier pudelwohl und will eigentlich auch nicht mehr weg. Ein solches Kulturangebot verbunden mit einer Lebensqualität, der auch für den Durchschnittsverdiener noch leistbar ist, gibt es wohl nirgendwo sonst. Dazu noch das großartige Wasser, die herrlichen Altbauwohnungen und das allgemeine Gefühl der Sicherheit. Wien ist einfach die schönste Stadt der Welt!«
Zwar empfand Walz solche Elogen auf seine Heimat als sehr angenehm, dennoch hatten ihn diese keinen Schritt weiter gebracht. Dabei wollte er noch unbedingt vor Elisabeths Ankunft erfahren, wie es um die Familienverhältnisse seines Gegenübers bestellt sei.
»Und wie empfinden Sie die Wiener?«
»Ach, wissen Sie, Hausmeister gibt es überall auf der Welt, selbst im angeblich so aufgeschlossenen Hamburg. Zwar sagen dort die Leute meistens, was sie wirklich denken, aber das bisschen Verlogenheit, das bei den Wienern immer mitschwingt, ist doch viel charmanter. Sie kennen vielleicht die Geschichte: Wenn ein Wiener eine Dame nach zehn Jahren wieder trifft, sagt er: ›Sie haben sich überhaupt nicht verändert, gnädige Frau.‹ Der Deutsche sagt in einem solchen Fall: ›Jaja, zehn Jahre sind eine lange Zeit.‹ Verstehen Sie, was ich meine?«
Walz lachte herzlich, fühlte sich dabei aber etwas ratlos. Ihr war einfach nicht beizukommen.
»Und wie empfindet Ihre Familie Wien?«
Schalkhaft blinzelte sie ihn an.
»Ihr gefällt es hier sehr gut«, sie machte eine bedeutungsvolle Pause, »wenn sie mich einmal im Jahr besuchen kommt …«
Sie saßen schon bei ihrem zweiten Glas Bier, als Elisabeth in Begleitung Rosts endlich das Restaurant betrat, das praktischerweise dem Konzerthaus angegliedert war.
Der Sänger hatte seine Konzertkleidung, einen durchaus geschmackvoll geschnittenen dunkelgrauen Gehrock, gegen einen modisch geschnittenen schwarzen Anzug vertauscht. Das offen getragene schwarze Rüschenhemd sowie die schwarzen Stiefeletten deuteten jedoch auf den Stutzer hin, den Walz in ihm vermutet
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