Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Schöttle
Vom Netzwerk:
hatte.
    Nach einer herzlichen Umarmung Claras und einer eher förmlichen Begrüßung einschließlich der fälligen Gratulationsformel, die sich Walz artig abrang, nahmen die Neuankömmlinge Platz.
    Nach dem üblichen Geschnatter der beiden Damen über die großartigen künstlerischen Leistungen des Sängers, wurde der bis dahin schweigsame Walz von ihnen aufgefordert, seine Meinung kundzutun.
    »Es ist wirklich viel zu selten, dass man in Wien in den Genuss von Bach kommt«, bemühte sich Walz um eine diplomatische Formulierung.
    »Da haben Sie recht«, nickte Rost zustimmend. »Schon bei den Sängerknaben haben wir nur ganz selten Bach gesungen, und dies meist nur zu Übungszwecken – ja, wenn der Thomaskantor nicht evangelisch gewesen wäre, wäre das wohl etwas anderes.«
    Auch seine Sprechstimme ähnelte der eines hohen Tenors, was Walz auf den häufigen Gebrauch der Kopfstimme zurückführte.
    »Umso schöner war es, heute einmal auf diese Weise Bach zu hören, wie er es wahrscheinlich gemeint hatte, als er es komponierte«, replizierte Walz artig, »obwohl ich, offen gestanden, doch die heutigen Instrumente vorziehe.«
    Hier mischte sich Elisabeth in das Gespräch ein.
    »So etwas kann ich überhaupt nicht verstehen. Bach hätte sicherlich ganz anders komponiert, wenn er andere Instrumente gehabt hätte – und daher gebietet es der Respekt vor ihm, den Klang so wiederzugeben, wie er ihn selbst im Ohr gehabt hatte.«
    Doch so leicht gab sich Walz nicht geschlagen, er wollte schließlich auch vor seinem Publikum brillieren.
    »Das ist eine Seite, die andere ist die, dass die Unvollkommenheiten der alten Instrumente die notierte Musik einfach nur mangelhaft wiedergeben können, und Bach sicherlich froh gewesen wäre, hätte er über anständige Instrumente verfügt. Es gibt einen Bericht von ihm über eine Aufführung des zweiten Brandenburgischen Konzerts, wo er sich begeistert darüber zeigte, dass der Trompeter nur vierzig Mal gekiekst hatte.«
    »Es hat Ihnen also nicht gefallen heute Abend?«, fragte Rost ganz unvermittelt und sah kurz von der Speisekarte auf.
    »Das kann ich so nicht sagen«, wand sich Walz mit einem leichten Seitenblick auf Clara, die sich scheinbar konzentriert der Auflistung der dargebotenen Köstlichkeiten widmete.
    »Was heißt das: so nicht sagen? Das ist eine batz­weiche Erklärung, die eigentlich überhaupt nichts besagt …«, mit ärgerlicher Geste klappte der Sänger die Speisekarte zusammen und schaute Walz direkt ins Gesicht. »Wissen Sie was? Lassen Sie uns doch einfach über etwas anderes sprechen, ich bin solcher Diskussionen ohnehin längst überdrüssig. Außerdem will ich jetzt etwas essen.«
    Entschlossen legte Rost die Karte beiseite und winkte dem Ober.
    »Sagen wir es einmal so, es hätte mir wahrscheinlich sehr gut gefallen, wenn ich mit der Originalklangbewegung mehr anfangen könnte«, bemühte sich Walz um Schadensbegrenzung. »Ich bin eben noch in der Tradition Helmuth Rillings oder gar Karl Richters aufgewachsen. Als ich die Klassik für mich entdeckte, galten sie als das Maß aller Dinge. Und für mich ist das bis heute so geblieben. Und dennoch darf ich Ihnen das große Kompliment machen, dass mich Ihre Stimme streckenweise sehr berührt hat …«
    »Jetzt essen wir erst einmal etwas«, mischte sich nun plötzlich Clara ein. »Gespräche über Politik und Kunst sollten nur mit vollem Magen geführt werden. Sonst beginnt man zu streiten. Du musst schrecklich hungrig sein, Florian!«
    Unterdessen war der Ober auf einen erneuten Wink von Clara an den Tisch getreten, um die Bestellungen aufzunehmen.
    Während Rost wie auch die Chilenin einen enormen Hunger zu haben schienen und beide neben der Rote-Rüben-Schaumsuppe, einen Tafelspitz und als Dessert ein Schokoladen-Fondue bestellten, entschied sich Elisabeth als erklärte »Vegetarierin« für Räucherlachsmousse und Zanderfilet. Als Anhänger der österreichischen Küche orderte Walz neben einem gedünsteten Tafelspitz einen Mohnauflauf.
    Da sie sich nicht auf einen Wein einigen konnten, – Clara bestand auf einem Roten, während es Walz vorzog, beim Bier zu bleiben, – wurde dieser glasweise bestellt.
     
    Nachdem der Kellner zufrieden abgezogen war, legte Clara sanft ihre Rechte auf Rosts Hand und fragte:
    »Erzähl mir, Lieber, wo geht deine nächste Reise hin?«
    Der Sänger nahm zuerst einen Schluck Wasser, den er besonders lange im Mund behielt, bevor er antwortete:
    »Nächste Woche fahre ich nach

Weitere Kostenlose Bücher