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Damenschneider

Damenschneider

Titel: Damenschneider Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rupert Schöttle
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Ursache »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit« ausgeschlossen werden könne, so der Gerichtsmediziner.
    Nach dem Abschluss des Gesprächs schaute Vogel seinen Kollegen fragend an.
    »Hat doch die U-Bahn-Zeitung tatsächlich recht gehabt. Zwar haben die Redakteure dort keine Manieren, aber das Blatt ist gar nicht so schlecht. Nun, da du mit den Zeugen in engerem Kontakt stehst als ich, überlasse ich dir die Entscheidung. Wen nehmen wir zuerst in die Mangel?«
    »Da fällt die Wahl tatsächlich schwer«, sagte Walz bekümmert. »Die Erfahrung sagt uns, dass man sich am frühen Morgen seine Gesprächspartner sorgfältig aussuchen sollte, ist doch dies entscheidend für den Verlauf des restlichen Tages. Also, von diesem Gesichtspunkt wäre Clara zwar die erste Wahl, doch der habe ich schon gestern Abend auf den Zahn gefühlt, da ist, glaube ich, nicht viel zu holen. Da ich die famosen Schwestern wegen ihres Zustands ganz nach hinten reihen würde, bleiben somit nur noch zwei übrig. Den Rost würde ich eigentlich lieber nach der Elisabeth befragen, schließlich war sie die Erste, die einen natürlichen Tod ihrer Freundin bezweifelt hat.«
    »Die Marthaler also. Die wollte ich eh einmal kennen lernen mit ihren roten Haaren. Denn wie sagt doch der Volksmund so treffend: ›rostiges Dachl – feuchter Keller‹.«
    »Zuweilen irrt auch des Volkes Stimme, was man ja bei jeder Wahl feststellen kann. Außerdem ist Elisabeth rotblond, und daher leider nicht dieser ebenso seltenen wie erfreulichen Spezies zugehörig.«
    Da es gerade einmal neun Uhr war, hatte Walz keine Schwierigkeiten, Elisabeth in ihrem Büro zu erreichen und sie von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Frühstücks zu überzeugen. Als Treffpunkt vereinbarten sie das traditionelle »Café Drechsler« am Naschmarkt, das sich unweit ihrer Firma befand.
     
    Eine halbe Stunde später trafen unsere Inspektoren in dem Kaffeehaus ein, das nach dem Rückzug der Eigentümerfamilie zu einem schmucken »Café des 21. Jahrhunderts« umgebaut worden war. Obwohl die gegenüber dem Naschmarkt gelegene gastliche Stätte nicht mehr das dunkle anheimelnde Gewölbe mit seinen nikotingeschwängerten Tapeten beherbergte, das seit seiner Eröffnung im Jahre 1914 während der nächsten 90 Jahre fast unverändert geblieben war, sagte ihnen auch das neue Ambiente durchaus zu. Gleichwohl es mit der herkömmlichen Vorstellung eines Wiener Kaffeehauses nicht mehr viel gemein hatte und, zumindest im hinteren Teil, eher einer trendigen Lounge entsprach. Die Besonderheit, die das »Drechsler« seit jeher ausgemacht hatte, war trotz des Umbaus glücklicherweise beibehalten worden: Es hatte fast durchgehend geöffnet, nämlich von drei Uhr früh bis zwei Uhr morgens. Neben einer reichhaltigen Speisekarte, die sich trotz aller äußerlichen Modernität durchaus bodenständig gab, konnte man hier auch jederzeit frühstücken. So bleibt es nicht aus, dass an diesem Ort späte Müßiggänger auf arbeitende Frühaufsteher treffen, Gruppen also, die sich, so sie einmal miteinander in Kontakt kommen, üblicherweise nur auf der Straße oder bestenfalls am Würstelstand mit Argwohn betrachten. Wobei die gerade erst Aufgestandenen klar im Vorteil sind, denn bis sechs Uhr morgens werden alkoholische Getränke mit einem Nachtzuschlag belegt (Bier ist davon übrigens ausgenommen – offensichtlich wird dieses Getränk im katholischen Österreich bis heute als Nahrungsmittel betrachtet).
    Schon bald, nachdem sich Vogel und Walz in einer Ecke des hinteren Raumes niedergelassen hatten, traf auch Elisabeth Marthaler dort ein.
    Sie gehörte jenem Typ Frau an, die, ungeachtet der herrschenden Temperaturen, stets eine erfrischende Kühle ausstrahlen. Eine echte Morgenschönheit eben.
    Vogel, der sie ja bislang nur aus Erzählungen kannte, stand sofort auf, als sie an ihren Tisch trat, um sie formvollendet zu begrüßen. Tatsächlich, das fand selbst der unterdessen ernüchterte Walz, sah Elisabeth an diesem Morgen besonders appetitlich aus. Mit ihrer herben Schönheit stellte sie wohl genau das Gegenteil des Klischees des »süßen Wiener Mädels« dar. Überhaupt war sie von eher knochiger Gestalt, wobei sie diesen Mangel an offensichtlicher Weiblichkeit mit ihrem androgynen Kleidungsstil noch unterstrich. In ihrer gesteppten Reiterjacke, die sie über dem ebenfalls schwarzen Rollkragenpullover aus Kaschmir trug, und den eng geschnittenen Jeans hätte man sie, sieht man von ihrem zu einem Zopf

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