Damenschneider
nicht gleich entdeckte, der tiefe Sessel schirmte ihn vor ihren Blicken ab, konnte er sie in aller Ruhe betrachten. Es gehört ja zu den menschlichen Phänomenen, dass man sich die Gesichtszüge einer Person, der man sich gerade emotional genähert hat, nur schwer ins Bewusstsein rufen kann. Auch Walz hatte im Laufe des heutigen Tages mehrmals versucht, sich ein Abbild von seiner Clara zu machen – es war ihm kein einziges Mal gelungen.
Nun stand sie also da und blickte suchend umher.
Sie war nicht allzu groß. Trotzdem wirkte sie auf ihn aufregend weiblich, was durch ihre gerade Körperhaltung, die sie fast majestätisch wirken ließ, unterstrichen wurde. Nachdem Walz sich einige Sekunden an ihrem Anblick geweidet hatte, gab er sich schließlich winkend zu erkennen.
Mit einem fragenden Gesichtsausdruck kam sie auf ihn zu:
»Was um aller Welt ist denn so dringend, dass du mich jetzt noch unbedingt sprechen musst?«
Walz befand sich nun in einer ausgesprochen blöden Situation.
In der großen Hektik hatte er es völlig verabsäumt, sich darüber Gedanken zu machen, auf welche Weise er Clara denn eigentlich begegnen solle. Nach einem kurzen Überschlag der Möglichkeiten erschien ihm der obligate Händedruck zu steif, ein Wangenkuss zu unverbindlich und ein Kuss auf ihre herrlichen Lippen zu verwegen. In seiner Verzweiflung, innerlich verfluchte er sich für seine Gedankenlosigkeit, beließ er es bei einer förmlichen und sogar auf ihn selbst linkisch wirkenden Verbeugung.
Auch sie schien zuerst gehemmt, drückte ihm aber dann, bevor sie sich niederließ, einen herzhaften Kuss auf die Wange, was die Situation sogleich entspannte.
Nachdem sie in dem gegenüber stehenden Lederfauteuil versunken war, schaute sie ihn erwartungsvoll an.
»Ja, liebe Clara, ich habe heute Abend tatsächlich etwas erfahren, was dich interessieren dürfte«, begann Walz mit einem verlegenen Lächeln. »und möglicherweise benötige ich in diesem Fall sogar deine Hilfe. Bevor ich jedoch den Schleier dieses Geheimnisses lüfte, habe ich zuerst einige Fragen an dich. Kennst du vielleicht einen Herrn namens Bojan Bilovic?«
Clara nickte mehrere Male.
»Ja, ich hab ihn öfter in Zusammenhang mit Irmgard getroffen. Die beiden waren ja seit vielen Jahren eng befreundet. Was ist mit ihm?«
Beschwichtigend hob Walz die Hände.
»Du erleichterst uns beiden das Gespräch, wenn vorerst ich die Fragen stelle. Nachher kannst dann du fragen … Hast du gewusst, dass Bilovic Arzt war?«
»War … Ist er tot?«, fragte sie erschrocken. »Woran ist er denn gestorben?«
Mit schief gelegtem Kopf schaute Walz sie freundlich an.
»Nochmals, hast du das gewusst?«
»Ja«, sagte sie fahrig, »er muss sogar ein ganz hervorragender Chirurg gewesen sein. Irmgard hat sich einige Male von ihm operieren lassen.«
»Du hast also gewusst, dass er als Chirurg arbeitete?«
»Sicherlich, er war doch im Sankt Johann …«
»Das schon, aber wusstest du, dass er dort nur als Krankenpfleger angestellt war?«
»Nein!«, rief sie überrascht aus. »Das ist ja entsetzlich. Ich denke, er war ein ausgebildeter Chirurg. Warum hat sich Irmgard dann von ihm operieren lassen? Ist sie daran gestorben?«
Ruhig erklärte ihr Walz die Geschehnisse des heutigen Abends und was er über Bilovics Tätigkeit wusste.
»Deine Freundin ist an einer Komplikation während einer Schönheitsoperation verstorben«, fuhr er fort. »Da diese OP aber unter illegalen Umständen erfolgt ist, wurde das Ganze dann vertuscht. Hast du davon gewusst, dass sie sich einer solchen Prozedur unterzogen hatte?«
»Unter Frauen bespricht man manchmal schon solche Themen. Und Irmgard hatte echte Probleme mit dem Älterwerden. In dieser Hinsicht hab’ ich sie überhaupt nicht verstanden. Als wäre das Alter eine Krankheit … Sie wollte halt immer jung und schön aussehen. Allerdings muss ich zugeben, dass Bojan ein echter Meister seines Fachs war. Wenn man es nicht wusste, hätte man nie angenommen, dass Irmgard ihrer Schönheit nachgeholfen hat.«
»Du weißt doch, dass Elisabeth stets bezweifelt hat, dass eure Freundin einem plötzlichen Herztod erlegen ist. Deshalb wollte sie ja auch so dringend, dass eine Autopsie durchgeführt wird. Wusste Elisabeth vielleicht davon, dass sich Irmgard Rost vor ihrem Tod einer solchen Operation unterzogen hat?«
»Das glaube ich nicht«, antwortete sie nach einer kurzen Pause. »Gegenüber jungen Leuten verschweigt man solche Dinge lieber. Irgendwie will man ja
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