Damiano
nichts erfahren, da keiner seiner Leute zu ihm zurückkehren würde.
Früher oder später allerdings würde er die Wahrheit zu hören bekommen. Jetzt, wo die Sache mit den Bürgern erledigt war – zumindest fühlte sich Damiano nicht weiter für sie verantwortlich –, hatte der junge Hexer Zeit zum Nachdenken.
Es war seltsam, sich klarmachen zu müssen, daß er nicht besser war als Pardo, nicht besser als die Soldaten, die ein kleines Dorf ausgerottet hatten, weil einer der Bauern sich kämpferisch gezeigt hatte. Damiano hatte fünfzig Menschen getötet – er schrieb das Blutvergießen nicht den Messern und Hämmern der Männer von Partestrada zu –, um den Tod jener sechs zu rächen. Oder vielleicht war es auch die Rache für die Verbrechen der Soldaten an den Frauen von Partestrada – sinnlose Rache für Verbrechen, die nie verübt worden waren.
Ganz gleich – Damiano war sich in der Schlacht nicht böse vorgekommen. Er bezweifelte, daß General Pardo sich böse vorkam. »Der Mensch ist in Sünde geboren, und seine Natur ist böse.« Pater Antonio hatte dies von der Kanzel verkündet, obwohl es kein Thema war, bei dem der gute Pater in seiner Muße zu verzweifeln pflegte. Nie zuvor hatte Damiano darüber nachgedacht.
Waren die Verwünschungen der jungen Bauersfrau jetzt erfüllt? Würde sie nun, da ihre Mörder alle tot waren, in Frieden ruhen?
Und da er sich diese Fragen nun schon stellte – wo war eigentlich Pater Antonio? Damiano brauchte Führung und Weisung – jene Art der Führung, die Raphael ihm immer verweigerte. Und er brauchte sie unverzüglich.
Der feuchte Schankraum in dem Gasthaus, wo Damiano saß, wirkte, wenn er auch warm war und voll von seinen Gefährten, düster und bedrückend. Damiano stand von der rohen Holzbank auf, ließ Brotkrumen, Käserinde und ein unberührtes Stück Wurst auf dem Tisch liegen. Ein Winseln unter dem Tisch veranlaßte ihn, Macchiata das Stück Wurst hinzuwerfen.
Carla war unerreichbar im Haus eines Freundes und von ihrem üblen Bruder bewacht; aber Damiano konnte sich wenigstens auf die Suche nach seinem Freund, dem Priester, machen.
Die Basilika San Sebastiano in Aosta war eigentlich nicht mehr als eine kleine runde Kirche. Damiano blieb am Portal stehen. Er war sicher, daß er den Priester in der Nähe finden würde, verspürte aber einen starken, unerklärbaren Widerwillen, die Kirche zu betreten. Während er noch unschlüssig dastand, kam Carla Denezzi heraus. »Damiano!« rief sie leise und faßte seine Hand. »Komm mit herein, schnell!«
Er ließ sich von ihr in die Düsternis ziehen, wo es nach Holz und Weihrauch duftete. Links von der Tür war ein Taufbecken, das vom Vorraum durch ein kunstvoll geschnitztes Holzgitter abgetrennt war. Als böte dieses Verschwiegenheit, hieß sie ihn sich dort zu setzen.
Sie trug einen cremefarbenen Umhang. Ihr Gesicht glühte rosig, und sein Anblick erweckte noch einmal die Vergangenheit zum Leben; warmes, gefiltertes Sonnenlicht, das in die Loggia fiel, bunte Fäden auf einem Korb, säuberlich geordnet, und säuberlich geordnete Gedanken, Gelächter. Damiano wollte ihr sagen, wie glücklich er war, sie zu sehen, wie sehr sie ihm gefehlt, wie sehr er sich nach ihr gesehnt und an sie gedacht hatte, während er in den schneebedeckten Bergen in einer dunklen Höhle gelegen hatte, aber gerade die Sauberkeit und Rosigkeit ihres Gesichts hinderten ihn daran. Sie machten ihn schüchtern.
»Ich sollte meinen Stab nicht hier haben«, murmelte er. »Es ist nicht recht.«
Sie wollte mit der kleinen Hand nach dem Stab greifen, um ihn wegzustellen, da fiel ihr ein, was es mit ihm auf sich hatte, und sie zog rasch die Hand zurück.
»Ach, das hatte ich vergessen. Ich darf ihn nicht berühren.«
Mit einem seltsam traurigen Lächeln nahm Damiano ihre Hand und führte sie an das Ebenholz.
»Carla«, flüsterte er, »nichts, was mir gehört, wird dir jemals weh tun. Das verspreche ich dir. Du könntest deine Hand auf mein schlagendes Herz legen, und es würde dir keinen Schaden tun.«
Sie lachte leise über diese feurige Ritterlichkeit, da sie sich fragte, wie eine solche Handlung einem anderen als Damiano selbst Schaden zufügen könnte. Gleichzeitig aber wurde die Erinnerung wach, und ihre Hand ergriff seinen Kittel – das Loch in Herzhöhe.
»Dein schlagendes Herz«, wiederholte sie. »Wie kommt es – durch was für ein Wunder konnte es geschehen, Damiano – «
»Durch das Wunder eines Buches.« Auch er lachte und zog
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