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Damiano

Damiano

Titel: Damiano Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. A. MacAcoy
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Wiese, wo die Uferböschungen eines gefrorenen Bachs ihn vor dem Wind schützten. Er hatte seinen Hermelinumhang fest um sich geschlungen, und seine gestiefelten Füße waren unter dem warmen Körper Macchiatas vergraben.
    Der Himmel war verblaßt wie ein Veilchen, das man zwischen den Seiten eines Buchs gepreßt hat. Das Eis auf dem Bach war grau verblaßt.
    Mit allem, was wir besitzen. Mit allem, was wir sind. Sie hatte ihm seine Worte zurückgegeben, und sie brannten. Das, was Damiano besaß, Geld und Grundbesitz, war schnell vertan worden. Das, was er war, schien des Geschenks nicht wert.
    Er fröstelte, und Macchiata rollte sich auf seinen Stiefeln enger zusammen.
    Dennoch, man konnte alles irgendwie nutzen. Ein Stuhl, auf dem man nicht sitzen konnte, konnte ins Feuer geworfen werden. Ein Mann, den niemand brauchte, dessen Handlungen nur Schaden anrichteten, konnte zu einem ähnlichen Zweck gebraucht werden. Ein schrecklicher Gedanke kam Damiano plötzlich, der seiner Stimmung gemäß war. Er stand auf und ging zur Straße zurück.
     
     
    Eine Stunde war vergangen. Macchiata schlief vor dem Feuer des Wirts. Sie hatte nichts dagegen gehabt, sich schlafen zu legen.
    »Raphael«, rief er und sank wieder auf den einsamen Baumstumpf. »Raphael! Seraph. Wenn du eine Minute Zeit hast…«
    Der Erzengel ließ sich anmutig auf dem gefrorenen Wasser nieder.
    »Ich habe die Ewigkeit«, sagte Raphael.
    Sein Lächeln war von der mächtigen Süße erfüllt, die der Mensch nur auf Entfernung ertragen kann. Es verursachte Damiano unerwarteten Schmerz, dieses Lächeln, obwohl er es schon häufig gesehen hatte.
    »Ich möchte gern – « Er brach ab, da er nicht wußte, was er sagen sollte. »Raphael, setz dich eine Weile zu mir, denn ich werde dich vielleicht nie wiedersehen.«
    Der Engel plusterte sein Gefieder auf, und seine Augenbrauen hoben sich.
    »Sprich mir nicht von ›nie‹, Dami.« Dann kehrte das Lächeln wieder. »Das ist ein Wort, das ich nicht verstehen kann.« Nachdenklich fügte Raphael hinzu, »obwohl ich doch ›auf immer‹ sehr gut verstehe. Die beiden Wörter sind von unterschiedlicher Qualität, denke ich.«
    Damiano antwortete nicht. Er saß zusammengekauert und still da, die Knie an die Brust gezogen. Langsam streckte Raphael einen Arm aus, dann eine Schwinge und zog den jungen Mann in seinen Lichtkreis.
    »Soll ich für dich spielen, Damiano?« fragte er, während die Minuten verrannen.
    »Die Laute ist beim Zimmermann, unserem Wirt, wo auch Macchiata ist.«
    Damianos Stimme wollte versagen. Er räusperte sich. »Ich habe mein eigenes Instrument«, erwiderte der Engel zaghaft.
    Neugier flackerte kurz in Damianos Augen auf und erlosch wieder.
    »Danke dir, Seraph, aber ich kann mir den Frieden nicht leisten, den solche Musik mir bringen würde. Ich habe etwas zu tun, und dafür muß ich stark bleiben. Bitte setz dich zu mir, Raphael, und verlange nicht von mir zu sprechen.«
    Sich von Raphaels Schwingen umfangen zu lassen war, als säße man auf der Scheibe des Vollmonds, nur war der Mond greller und nicht so rein. Damiano war nicht mehr kalt.
    »Du mußt weiter glauben, Raphael, selbst wenn es schwierig wird – du mußt glauben, daß ich dich liebe.«
    Raphaels mitternachtsblaue Augen zeigten keine Verwunderung.
     
     
    Carla Denezzi ging, von der alten Signora Anuzzi begleitet, durch die dunklen Straßen von der Basilika zum Gasthof. Den ganzen Abend hatten sie für die Seelen der Verstorbenen gebetet. Die Gebete der alten Signora hatten insbesondere ihrem Neffen Giorgio Anuzzi gegolten, dem Eigentümer der Weinberge, der sich geweigert hatte, vor den einfallenden Soldaten zu fliehen und nun vermutlich unter den Dahingeschiedenen war.
    Carlas Gebete waren weniger konkret gewesen. Sie hatte für die Seelen aller gebetet, die tot im Schnee der Berge lagen. Ja, sie hatte ihre Gebete auch auf jene ausgedehnt, die gar nicht tot waren, sondern nur unglücklich.
    Am Himmel funkelte kein Stern, und die Frauen setzten ihre Füße mit Vorsicht, da sie einen Sturz auf der vereisten Straße fürchteten. Signora Anuzzi brummelte harte Worte vor sich hin. Endlich standen sie vor der eisenbeschlagenen Tür des Gasthofs. Carla blickte die Straße entlang bis zu ihrem Ende und sah in den Feldern jenseits der Häuser einen Engel.
    Er war weiß und schön und ohne Zweifel ein Engel, dessen mächtige Schwingen vorn gefaltet waren. Er saß still auf der Erde und betete. Er konnte nur beten, denn was sonst tat ein Engel

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